Von Kopf bis Fuss: Gesundheitsmythos2 Liter Wasser täglich? Muss nicht sein!
Schluss mit dem schlechten Gewissen, zu wenig getrunken zu haben. Eine neue Studie widerlegt das seit Jahren verkündete Mantra zur richtigen Trinkmenge.

Selbst wenn wir uns kaum daran halten, sondern einfach dann trinken, wenn wir ein entsprechendes Bedürfnis verspüren, kennen wir alle die Zwei-Liter-pro-Tag-muss-man-trinken-Empfehlung. Dass diese seit Jahrzehnten immer wieder wie ein Mantra verkündete Regel so allgemein keinen Sinn macht, zeigt jetzt eine gross angelegte Studie.
Ja, natürlich sollte man auch dann trinken, wenn wir keinen Durst verspüren, denn der Körper zeigt dieses Bedürfnis meist erst dann an, wenn wir wirklich zu wenig getrunken haben. Und nur, wenn unsere Flüssigkeitsspeicher entsprechend gut gefüllt sind, fühlen wir uns wohl. Sonst können sich die verschiedensten körperlichen Beschwerden wie Schwindel, Müdigkeit, schlechte Verdauung oder trockene Haut bemerkbar machen. Aber die Zwei-Liter-pro-Tag-Regel erscheint in ihrer Absolutheit nicht sinnvoll.
Von einem bis zu sechs Liter?
Rund 90 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt haben den sogenannten Wasserumsatz von mehreren Tausend Menschen untersucht. Und sind in der jetzt im Wissenschaftsmagazin «Science» veröffentlichten Studie zum Schluss gekommen, dass sich der Wasserbedarf der einzelnen Menschen sehr stark unterscheidet – je nach Alter, Gewicht und körperlicher Betätigung, aber auch sozioökonomischen Lebensumständen sowie spezifische Umweltbedingungen am Lebensort. Zudem stellten sie fest, dass bei der Trinkempfehlung nicht berücksichtigt wird, wie viel Flüssigkeit wir durch die Ernährung zusätzlich aufnehmen.
Die Studie zeigt auf, dass die zwei Liter mit der Realität wenig zu tun haben.
«Die gängige Empfehlung ist wissenschaftlich überhaupt nicht abgesichert», sagt Yosuke Yamada vom National Institute of Biomedical Innovation, Health and Nutrition in Osaka, einer der Erstautoren der Studie, in der englischen Zeitung «Guardian». «Die meisten Wissenschaftler sind sich nicht sicher, woher diese Empfehlung stammt.»
Die Studie zeigt auf, dass die zwei Liter mit der Realität wenig zu tun haben: Von einem bis zu sechs Liter Wasser reichte das Spektrum bei den über 5600 Probanden im Alter von 8 Tagen bis 96 Jahren aus 23 Ländern, deren Wasserumsatz untersucht wurde. Die Probanden tranken ein Glas sogenanntes markiertes Wasser. Dadurch kann die Zeit, welche das Wasser auf seinem Weg durch den Körper braucht, objektiv gemessen werden. Diese Methode wurde im Labor von Ernährungswissenschaftler Dale Schoeller, der zu den Autoren der neuen Studie gehört, an der University of Wisconsin in Madison in den 1980er-Jahren zum ersten Mal angewendet.
Männer benötigen mehr Wasser als Frauen
«Die Wissenschaft hat die Zwei-Liter-Empfehlung nie als angemessene Richtlinie unterstützt, und sei es nur, weil diese den gesamten Wasserumsatz mit dem Wasser aus Getränken verwechselte, während ein Grossteil des Wassers aus der Nahrung stammt», wird Schoeller in einem Beitrag von «ScienceDaily» über die Studie zitiert. «Aber diese Arbeit ist die beste, die wir bisher gemacht haben, um zu messen, wie viel Wasser der Mensch tatsächlich täglich zu sich nimmt, wie viel Wasser in den und aus dem Körper fliesst und welche wichtigen Faktoren den Wasserumsatz beeinflussen.»
Bei Männern erreicht der Wasserumsatz im Alter von 20 Jahren den Höhepunkt und nimmt dann ab.
Die Forschenden sammelten und analysierten die Daten aller Probanden und verglichen auch die Umweltfaktoren – wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Höhenlage der Orte, an denen sie leben – mit dem gemessenen Wasserumsatz, dem Energieverbrauch, der Körpermasse, dem Geschlecht, dem Alter und der sportlichen Aktivität. Beigezogen wurde auch der Human Development Index der Vereinten Nationen, der nach Ländern Lebenserwartung, Schuldbildung und wirtschaftliche Faktoren bemisst.
Bei Männern erreicht der Wasserumsatz im Alter von 20 Jahren den Höhepunkt und nimmt dann ab. Bei Frauen dagegen wurde vom Alter 20 bis 55 Jahren ein praktisch gleichbleibendes Niveau festgestellt. Ansonsten bestimmt das Ausmass von körperlichen Aktivitäten und das Sporttreiben den grössten Teil der Unterschiede, gefolgt vom Geschlecht, dem Human Development Index und dem Alter. Der Wasserumsatz liegt bei Frauen um etwa einen halben Liter unter dem der Männer.
Die Studie kommt zum Ergebnis, dass ein Mann, der nicht Sport treibt, aber sonst durchschnittlich körperlich aktiv ist, 20 Jahre alt ist, 70 Kilogramm wiegt und auf Meereshöhe in einem gut entwickelten Land bei einer mittleren Lufttemperatur von 10 Grad Celsius lebt, täglich etwa 3,2 Liter Wasser aufnimmt und verliert. Eine gleichaltrige Frau mit demselben Aktivitätsniveau, die am selben Ort lebt und 60 Kilogramm wiegt, verbraucht 2,7 Liter Wasser. Eine Verdoppelung des Kalorienverbrauchs führt zu einem Anstieg des Wasserumsatzes um etwa einen Liter.
Wasserverschwendung statt Notwendigkeit
Diese Mengen an Wasser muss man jedoch nicht trinken, da man auch mit der Nahrung Flüssigkeit aufnimmt. Die Menge unterscheidet sich aber stark. «Wenn man nur Brot, Speck und Eier isst, erhält man nicht viel Wasser aus der Nahrung, aber wenn man Fleisch, Gemüse, Fisch, Nudeln und Reis isst, kann man etwa 50 Prozent des Wasserbedarfs mithilfe der Nahrung decken», erklärt Yamada im «Guardian».
«Die Bestimmung des Wasserverbrauchs wird aufgrund des Bevölkerungswachstums und des zunehmenden Klimawandels immer wichtiger.»
Die Studie zeigt alle die unterschiedlichen Einflüsse auf, die den individuellen Wasserumsatz bestimmen. Da dieser durch so viele und unterschiedliche Faktoren beeinflusst wird, kann die Studie auch keine neuen Empfehlungen zum Wasserkonsum abgeben. Die Forschenden gehen aber davon aus, dass diejenigen Menschen, die sich an die Zwei-Liter-Empfehlung halten, zusammen mit dem Wasser in der Nahrung eher mehr Wasser zu sich nehmen als sie wirklich brauchen. Und sie machen in diesem Zusammenhang auf ein Problem in vielen Regionen der Welt aufmerksam – das wir in der Schweiz nicht haben: den Wassermangel.
«Die Bestimmung des menschlichen Wasserverbrauchs wird aufgrund des Bevölkerungswachstums und des zunehmenden Klimawandels immer wichtiger», sagt Yamada. Dank den Messungen dieser Studie könnte der künftige Wasserbedarf genauer vorhergesagt werden, ergänzt Dale Schoeller. Und Studienmitautor John Speakman von der University of Aberdeen in Schottland rechnet vor: «Wenn sich 40 Millionen Erwachsene im Vereinigten Königreich an die Richtlinien hielten und jeden Tag einen halben Liter sauberes Wasser mehr tränken, als sie benötigten, wären das 20 Millionen Liter verschwendetes Wasser pro Tag.»
Wie viel trinken Sie, liebe Leserinnen und Leser? Und nehmen Sie sich dabei eine bestimmte tägliche Menge vor oder vertrauen Sie auf Ihr Durstempfinden? Diskutieren Sie mit.
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