3 von 10 der verurteilten Ausländer dürfen bleiben
Schweizer Richter verzichteten letztes Jahr bei 29 Prozent der Verurteilten auf einen Landesverweis. Unklar bleibt die Zahl der Härtefälle.

Die neusten Zahlen aus dem Bundesamt für Statistik (BFS): Sie kommen nüchtern daher. Doch dieses Mal birgt das Zahlenmaterial politischen Zündstoff, denn es geht um die Wegweisung gerichtlich verurteilter, krimineller Ausländer. Demnach haben letztes Jahr die Schweizer Gerichte insgesamt 1702 Landesverweisungen ausgesprochen.
Die Frage dabei ist, wie oft die Richterinnen und Richter im Jahr 2018 die Härtefallklausel angewandt haben. Mit ihr kann ein Gericht auf einen Landesverweis verzichten, wenn dieser für einen Verurteilten einen schweren persönlichen Härtefall zur Folge hätte. Zwar sagen die Zahlen der Statistiker aus Neuenburg aus, dass die Anwendungsrate durchschnittlich 71 Prozent betrage. Demnach haben also 71 von 100 verurteilten Ausländern eine Landesverweisung kassiert – wenn sie eine der Straftaten begangen hatten, die im Deliktskatalog des Strafgesetzbuches aufgeführt sind. Dieser Katalog wurde nach der Annahme der SVP-Ausschaffungsinitiative geschaffen, er gilt seit Oktober 2016.
Mit anderen Worten: Bei 29 Prozent aller Verurteilungen wurde im Jahr 2018 keine Landesverweisung ausgesprochen, obwohl die entsprechenden Straftaten im Deliktskatalog aufgeführt sind. Diese Anwendungsrate der obligatorischen Landesverweisung hat sich im Vergleich zum Vorjahr 2017 um 3 Prozent gesteigert. Sie lässt allerdings keine genauen Aussagen darüber zu, wie häufig Gerichte die Härtefallklausel angewandt haben.

Im Strafregister Vostra, auf das sich das BFS stützt, wird nämlich nicht erfasst, weshalb Gerichte von einer Verfügung der Landesverweisung abgesehen haben. Neben dieser Klausel gibt es eine ganze Serie anderer Gründe, keine Landesverweisung auszusprechen – entschuldbare Notwehr, entschuldbarer Notstand oder auch der Umstand, dass eine verurteilte Person aus einem Land kommt, das Teil des Freizügigkeitsabkommens mit der EU ist. Der Bund erarbeitet derzeit die Grundlagen, um dieses Manko in statistischer Hinsicht zu beheben. Dies stellte Bundesrätin Karin Keller-Sutter vergangene Session in Aussicht. Ab 2020 sollen Zahlen zu den Härtefällen vorliegen.
Wie häufig der obligatorische Landesverweis angewandt wird, unterscheidet sich je nach Länge der ausgesprochenen Strafe stark. So liegt die Rate bei Verurteilungen zu einer Geldstrafe bei 2 Prozent, bei Freiheitsstrafen beträgt sie 85 Prozent. Somit drängt sich die Feststellung auf: Je länger die Dauer einer Freiheitsstrafe ist, umso höher ist der Anteil der Verurteilungen mit verfügter Landesverweisung. Bei Freiheitsstrafen über zwei Jahren liegt die Anwendungsquote bei 94 Prozent. Bei Verurteilten mit B- und C-Ausweis beträgt sie 25 Prozent. Sie ist somit deutlich niedriger als bei Ausländern ohne Aufenthaltstitel, die in 91 von 100 Fällen die Schweiz verlassen müssen.
Jeder Fall ist individuell zu klären
Ständerat Andrea Caroni (FDP, AR) sagt dazu, entscheidend seien Zahlen über die Härtefälle, die ab 2020 vorlägen. «Dann werden wir analysieren, ob die Schraube angezogen werden muss.» Wichtig sei nun, dass bestehende Anreize beseitigt würden, aus Gründen der Verfahrensökonomie die Härtefallklausel anzuwenden und auf eine Landesverweisung zu verzichten. Ein Vorstoss der FDP, der dies verlange, sei auf gutem Weg.
Die Kritik von SVP-Nationalrat Gregor Rutz fällt demgegenüber heftig aus. Die Verwaltung sage nach wie vor, die Zahlen seien nicht aussagekräftig. «Das ist ein Skandal. Letztes Jahr hatten wir 31 Prozent Härtefälle, dieses Jahr 29 Prozent. Das ist zu viel.» Über jedes Nutztier existiere in diesem Land eine genaue Datenbank. «Gleichzeitig haben wir aber offenbar keine Ahnung, wer alles legal oder illegal hier lebt und wer das Land verlassen müsste.»
Nationalrätin Sibel Arslan (Grüne, BS) bezeichnet solche Aussagen als «Teil eines nie endenden Wahlkampfs der SVP». Die Gerichte seien aber dem Recht verpflichtet. Jeder Straffall sei bezüglich Landesverweisung individuell abzuklären und umfassend zu beurteilen. Dies könne auch häufigere Verzichte auf Landesverweisung zur Folge haben, als bei der Gesetzgebung budgetiert worden seien.
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