Pop-BriefingAlanis Morissette lanciert ihre Karriere neu – mit Meditationsmusik
Ausserdem: Neue Tanzmusik für Millennials, The Mars Volta veröffentlichen erstmals seit zehn Jahren einen neuen Song, und eine Organistin hat sehr viel Spass bei der Arbeit.

Das muss man hören
Haai – «Baby, We’re Ascending»
Die in Australien geborene, aber in Grossbritannien lebende Electro-Produzentin Teneil Throssell alias Haai macht Tanzmusik für Millennials. Ausgelegt auf verkürzte Aufmerksamkeitsspannen, schlägt ihr «Baby, We’re Ascending» einen Haken nach dem anderen. Zwischenstücke erinnern an den rumpeligen Jungle-Sound der Neunzigerjahre, hier und da gibt es kurze, fast Ambient-Verschnaufpausen.
Die ständigen Richtungswechsel nerven allerdings nicht, wenn man sich aufs Zuhören einlässt. Ein faszinierendes Debütalbum.
The Mars Volta – «Blacklight Shine»
Die Progrock-Band The Mars Volta veröffentlichen erstmals seit zehn Jahren neue Musik. In einer Hinsicht bleiben sich Cedric Bixler-Zavala und Omar Rodriguez-Lopez treu: Sie sind auch 2022 noch unberechenbar. «Blacklight Shine» ist geprägt von Latino-Funk und erstaunlich zugänglich. Der Song ist im Video eingebettet in eine Tanzperformance.
μ-Ziq – «Magic Pony Ride»
Mike Paradinas alias μ-Ziq veröffentlicht schon seit fast dreissig Jahren elektronische Musik der vertrackteren Art. Auch sein neues Album «Magic Pony Ride» reiht sich hier ein – auch wenn es immer wieder einmal Anklänge von direktem Techno oder Rave-Sound gibt, eine kleine Stolperfalle baut der Brite immer ein. Der Dancefloor ist eben doch kein Ponyhof.
700 Bliss – «Nothing to Declare»
Moor Mother & DJ Haram, beide in Philadelphia ansässig, spannen als 700 Bliss zusammen. Während die DJ dystopische, verstolperte Soundlandschaften entwirft, rappt die Sängerin und Poetin über die Themen, die sie auch solo schon beschäftigen: Geschlechterverhältnisse, Lebenswelten und Klassenstrukturen. Nicht grade Easy Listening, aber es wert, ein oder zwei Ohren zu riskieren.
Wilco – «Cruel Country»
Irgendwie werden Wilco von jeher als Alternative-Country-Band tituliert – eine Einordnung, mit der sich die Gruppe schwertut. Klar: Country-Elemente hat ihr Sound schon, und alternativ sind sie eh, aber daraus gleich eine Schublade zimmern?
Mit ihrem neuesten Album nehmen sie diese Nische endlich an. Schon der Titel «Cruel Country» sagt alles, im Titelstück singt Jeff Tweedy von seinem Land – den USA, die er liebt und die gleichzeitig doch dumm und grausam seien. Und tatsächlich: Selten klang Wilco so offen nach Countrymusik, natürlich weit entfernt von Cowboy-, Midwest- und Revolverhelden-Platitüden. Ein schönes, ruhiges Album – mit siebzehn Stücken und einer Stunde und 20 Minuten Spielzeit darüber hinaus äusserst üppig.
The Damned Don’t Cry – «Into Nothing»
Carlos Ebelhäuser, früher Bassist bei der deutschen Indie-Rock-Institution Blackmail, und Ingo Drescher von Cuba Missouri firmieren gemeinsam als The Damned Don’t Cry, benannt nach dem Film noir mit Joan Crawford von 1950 (auf Deutsch heisst er «Im Solde des Satans»). Zu hören gibt es auch in dieser Duo-Konstellation Indie-Rock, der sicher auch alte Blackmail-Fans zufriedenstellen dürfte. Das dazugehörige Album «Scaryland» erscheint am 24. Juni.
Das Schweizer Fenster
Sensu – «Numéro LDN»
Die Badener Produzentin Sensu hat anscheinend ein Faible für die englische Hauptstadt. Ihre aktuelle EP heisst dementsprechend «Numéro LDN», zu hören gibt es auf fünf knappen Tracks zweisteppige Tanzmusik, die auch dann leichtfüssig bleibt, wenn es wie bei «Pink» mal etwas schneller wird. Ein schöner Sommer-Soundtrack mit britischem Einschlag.
Da Cruz – «Serpentes»
Die in Bern lebende afrobrasilianische Sängerin Mariana Da Cruz veröffentlicht mit «Serpentes» eine erste Single aus ihrem im Herbst erscheinenden Album. Darin setzt sie sich mit dem lamentablen Zustand der Welt und ihrer Heimat Brasilien auseinander. Unterstützt wird sie vom britisch-nigerianischen Rapper Magugu. Für das Video zeichnet Pop-Briefing-Kollege Ane Hebeisen verantwortlich.
Zen der Woche
Alanis Morissette, die bös gesagt mit einem Album eine Weltkarriere gestartet hat und danach nie wieder von sich hat hören lassen, veröffentlicht mit «The Storm Before the Calm» ein Meditationsalbum. Das lässt sich zwar ganz schön hören – file under: Ambient –, dürfte die besagte Weltkarriere aber auch nicht in noch grössere Höhen katapultieren.
Das Fundstück der Woche
Was für eine schöne Geschichte: Anna Lapwood ist Hausorganistin in der Royal Albert Hall in London. In dieser Eigenschaft übt sie oft des Nachts auf der riesigen Orgel der altehrwürdigen Institution. Dabei hörten sie anscheinend kürzlich Bandmitglieder von Bonobo, der in selbiger Konzerthalle auftrat. Kurz entschlossen schrieb man einen Orgelpart für Bonobos Stück «Otomo», und Lapwood begleitete die Electro-Künstler. Die Performance ist der Nachwelt erhalten und dankenswerterweise dabei auch eine Kamera auf Lapwood selbst gerichtet. Was für eine Freude sie bei der Arbeit hat!
Die Wochen-Tonspur
Die Rundum-sorglos-Playlist: Abspielen und im Überblick und kompakt alles relevante direkt ins Ohr bekommen.
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