Sportklettern: Weltcup in HachiojiAndrea Kümins Weg zurück an die Spitze bleibt steil
An ihrem ersten Boulder-Weltcup seit über einem Jahr hat die Winklerin Platz 57 erreicht. Ihren Startplatz an der Heim-WM in Bern im August hat sie trotz ihrer langen Verletzung im Vorjahr auf sicher.

«Das Resultat ist natürlich nicht das, was ich mir erhofft hatte – aber es sieht auf den ersten Blick schlimmer aus, als es ist», kommentiert Andrea Kümin nach ihrem Weltcup-Comeback aus dem fernen Japan. Ihr Wettkampf in Hachioji sei nicht schlecht gelaufen, viele Dinge habe sie gut gemacht. «Am Ende waren es einige kleinere Fehler und ein Fall am letzten Zug, die mich ein gutes Resultat gekostet haben.» Dass sie damit den Einzug in den Halbfinal der besten 20 so klar verpasste und sich mit Rang 57 (von 74 Starterinnen) begnügen musste, erklärte sie mit der heuer erneut gestiegenen Leistungsdichte. «Vor ein paar Jahren ist man mit ein paar Fehlern nur wenige Ränge nach hinten gerutscht, heute sind es schnell mehr als 30.» Nicht zuletzt der 12. Platz ihrer Schweizer Team- und Trainingskollegin Sofya Yokoyama nähre ihre Zuversicht. «Es kann schnell wieder anders aussehen. Ich mache einfach weiter wie bisher und hoffe, dass irgendeinmal wieder klappen wird.»
Ganz von ungefähr kam Kümins Abschneiden indes nicht. Schon in den Tagen vor dem Start in Hachioji hatte sie sich nicht in Topform gefühlt. Zwar überliessen sie und ihre Schweizer Natikader-Gefährtinnen punkto unmittelbare Wettkampf-Vorbereitung nichts dem Zufall. Um bis zum Start den Jetlag zu überwinden, reisten sie sechs Tage vorher nach Japan. Dort angekommen, fasste Kümin indes die Monate, die hinter ihr liegen, mit den Worten zusammen: «Die Vorbereitung war nicht optimal.»
Ein Herbst mit Handicaps
Sie begründete dies zum kleineren Teil mit den Folgen ihrer seltenen und komplexen Verletzung, die sie im April 2022 erlitten hatte. Zur Erinnerung: Wenige Tage nach dem grössten Erfolg ihrer Karriere, dem 3. Platz am Heim-Weltcup in der Sparte Bouldern in Meiringen, zog sich Andrea Kümin im Training einen mehrfachen Riss einer Peronealsehne in Verbindung mit einem kompletten Riss des Retinakulums (Halteband) am Aussenknöchel zu. Zwar wurde sie rechtzeitig zur EM Mitte August in München wieder fit. «Danach aber hat es bis Januar gedauert, bis ich wieder ohne ein Tape zum Schutz und zur Stabilisierung klettern konnte», schildert Kümin. «In den letzten Monaten ist es bergauf gegangen – jetzt ist die Verletzung ausgeheilt, und ich kann ohne Einschränkungen klettern.» Zumal sie seither von weiteren Blessuren verschont geblieben ist.

Doch ihre unteren Extremitäten erwiesen sich 2022 nicht als die einzigen Spielverderber des Jahres, das für Andrea Kümin so vielversprechend begonnen hatte. Ausgerechnet an der EM in München, auf die sie trotz ihrer Verletzung so hart hingearbeitet hatte, erwischte sie eine heftige Grippe. Dadurch erklärt sie im Nachhinein auch ihren 45. EM-Rang im Bouldern sowie den 35. Platz im Leadklettern: «Die Grippe hat mich energiemässig noch stärker eingeschränkt als die Verletzung.» Und das nicht nur in München: Im Nachgang der Erkrankung fühlte sie sich im Herbst lange Zeit müde, das Klettern fiel ihr schwer. «Ich konnte nicht so viel und nicht so hart trainieren wie normalerweise», verrät Kümin. Auch auf die ansonsten während der wettkampffreien Zeit so beliebten Abstecher an den Fels verzichtete sie weitgehend. Erst «ab Januar wurde es dann langsam wieder besser, und ich habe mich an der Wand wieder fitter gefühlt.»
Höhepunkt Heim-WM
So begab sich Andrea Kümin ohne hohe Erwartungen, nach der langen Zeit fast ohne Wettkämpfe dafür mit umso grösserer Vorfreude auf die Reise nach Japan. Dass die Formkurve sich nach eigenem Bekunden noch nicht dem Optimum angenähert hat, nimmt sie gelassen. Schliesslich dienen ihr der Boulder-Weltcup in Hachioji sowie jener in der Woche darauf in Südkoreas Hauptstadt Seoul primär als Standortbestimmung im Hinblick auf den grossen Höhepunkt der vorolympischen Saison: die Heim-WM vom 1. bis 12. August in Bern. «Mein Training ist dieses Jahr darauf ausgerichtet, dass ich im August in Topform bin», betont Kümin dementsprechend.

«Eine Heim-WM ist etwas, das ich nur einmal erleben kann – ich freue mich extrem auf die WM, das Heimpublikum, all die Eindrücke und Erlebnisse», sagt sie im Hinblick auf die Titelkämpfe in der Bundesstadt, die seit Herbst 2021 ihr Zuhause ist. Ihren Platz im Schweizer WM-Team hat sie auf sicher, dank ihrer Top-Ergebnisse in den vorherigen beiden Saisons hat der nationale Verband sie bereits selektioniert. «Das ist sehr wertvoll, weil ich mich so voll und ganz auf die Vorbereitung konzentrieren kann und nicht bereits Anfang des Jahres Resultate liefern muss.»
Paris in Sicht
Qualifikations-Druck dürfte die Masters-Studentin der Psychologie, die ihr Studium nach der Heim-WM in reduziertem Umfang wieder aufzunehmen plant, spätestens gegen Ende des Jahres ohnehin zu spüren bekommen. Dann, wenn es sich auf die entscheidenden Qualifikations-Wettkämpfe für die Olympischen Sommerspiele von Paris 2024 vorzubereiten gilt. In der neuen Kombiwertung aus Bouldern und Leadklettern möchte Andrea Kümin dann zu den 20 Olympia-Starterinnen gehören. «Wenn alles optimal läuft und ich noch das nötige Wettkampfglück habe, ist die Olympia-Quali möglich», schätzt sie.
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