
Wer auf Google Maps auf die Ukraine zoomt, könnte meinen, das Land sei derzeit ein Paradies für Fahrradfahrer und Fussgänger. Keinerlei orange oder rote Linien, die zähflüssigen Verkehr abbilden? Kein einziger Stau im ganzen Land?
Das täuscht natürlich, in der analogen Ukraine verstopfen fliehende Menschen in Autos Strassen, russische Panzer blockieren Wege. Doch Google hat auf Bitten der Regierung sein Feature «Liveverkehr» abgestellt, Apples Kartendienst ebenfalls.
Die Monopolstrukturen der Technologiekonzerne haben sie in den Augen vieler Regierungen zu Mitteln des Krieges gemacht. Am Ende dieser Entwicklung könnte das Ende des Internets stehen, wie wir es kennen. Wechselseitige Blockaden drohen, eine Art Zensur-Pingpong zwischen den Konfliktparteien. Darunter leidet der freie Fluss der Informationen, den es im Krieg besonders dringend braucht.
Zunächst ist da Russland, das in sozialen Medien offensichtlich nur feindliche Propaganda sieht. Das Land beschränkt den Zugang zu Facebook und Twitter für seine Einwohner. Das kann man als Eingeständnis lesen, dass der Kreml den Informationskrieg verloren gegeben hat. Moskau seinerseits wirft den US-Konzernen die Zensur seiner Staatsmedien RT und Sputnik vor. Aber auch in der EU nehmen Politiker Einfluss darauf, was Bürger im Netz zu sehen bekommen. Sie drängen die Konzerne, im Informationskrieg eine Seite zu wählen.
All diese Entwicklungen beschleunigen das Zersplittern des Internets in «Splinternets».
Frankreich macht Druck auf Twitter, die EU-Kommission auf alle sozialen Netzwerke. Meta, Apple und Googles Tochter Youtube entsprachen bereits der Bitte, RT und Sputnik unsichtbar zu machen, obwohl die EU deren Verbot noch gar nicht beschlossen hatte, das dann am Mittwoch schliesslich erging. Microsoft ging auf seiner Suchmaschine Bing ähnlich vor. Vor allem Meta hat jahrelang vermieden, sich politisch zu positionieren – am eklatantesten während des Genozids in Myanmar. Nun schwenkte der Konzern um und setzte in einer Art vorauseilendem Gehorsam die Wünsche der Europäer um.
Niemand muss die Sender vermissen, mit ihrer kritiklosen Wiedergabe von Staatspropaganda und ihren Versuchen, westliche Gesellschaften zu destabilisieren. Dennoch: Dass praktisch auf Zuruf Konten oder Websites blockiert werden müssen, kennt man sonst von Politikern wie Recep Tayyip Erdogan – oder eben von Wladimir Putin, der über Jahre versuchte, den Chatdienst Telegram abzuwürgen, weil sich dort die Opposition vernetzte. Nun ist es der Westen, der Präzedenzfälle schafft, auf die künftig noch die hinterletzten Diktatoren verweisen werden, um unliebsame Kanäle abschalten zu lassen. Oder gehorcht Facebook etwa nur den Europäern?
Der Gewerkschaftsverband europäischer Journalisten erinnerte die Kommission zu Recht daran, dass Zensur – wenn überhaupt – nur durchdacht und auf solider rechtlicher Basis erfolgen könne. Sinnvoller als Verbote sei es, Propagandalügen zu widerlegen. Die Kommission dagegen trickst und behauptet einfach, es gehe um Sanktionen, nicht um Medienregulierung.
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Riskantes Zensur-Pingpong – Apple, Google, Facebook und Twitter mischen sich in den Krieg ein
Zensieren, drosseln, abschalten: Die Macht der grossen Technologiekonzerne macht sie für viele Regierungen zu Kriegswerkzeug. Das ist schlecht für die Zukunft des Internets.