
Als Geschäftsleiter eines traditionsreichen Schweizer Hilfswerks frage ich mich, was aus unseren demokratischen Tugenden geworden ist: Gesprächs- und Kompromissbereitschaft über die ideologischen Gräben hinweg, fairer Umgang mit dem politischen Gegner, Besonnenheit. Nach dem – zugegebenermassen hitzig geführten – Abstimmungskampf um die Konzernverantwortungsinitiative reiten die Abstimmungssieger eine polemische Attacke auf die Hilfswerke und Entwicklungsorganisationen, die hinter der Initiative stehen.
Bürgerliche Politikerinnen und Politiker haben im National- und Ständerat bereits drei Vorstösse eingereicht, die entweder die Abschaffung der Steuerbefreiung oder die Überprüfung sämtlicher Finanzierungsquellen und Interessenbindungen von Nichtregierungsorganisationen fordern. Nach mehr Kontrolle dieser Organisationen wird also nicht mehr nur in Russisch, Chinesisch oder Hindi gerufen, sondern in Schweizerdeutsch oder Französisch.

Schade. Gute Gewinner sollten auf die Gegenseite zugehen, umso mehr, als diese die Mehrheit der Abstimmenden repräsentiert. Der Abstimmungskampf ist vorüber! Gandhi soll einmal gesagt haben: Zuerst ignorieren sie uns, dann machen sie sich über uns lustig, dann bekämpfen sie uns, und erst dann können wir gewinnen. Offenbar hat die Abstimmung vom 29. November uns auf die Stufe der Feinde gehoben, die es nun zu schwächen gilt. Sehr schade.
Der Angriff unter Druck geratener Interessenvertreter schwächt den demokratischen Diskurs.
Wir bei Swissaid wissen den Wert einer funktionierenden Zivilgesellschaft zu schätzen. Der Spielraum, den wir in unseren Einsatzländern haben, ist massiv kleiner als in der Schweiz. Unser Land kann auf den offenen Umgang und den Einbezug von uns Nichtregierungsorganisationen im politischen Meinungsbildungsprozess stolz sein.
Der Angriff etablierter, aber unter Druck geratener Interessenvertreter auf die Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen muss in diesem Licht zurückgewiesen werden. Er schwächt den demokratischen Diskurs, indem er die organisierten Vertretungen berechtigter Anliegen der Zivilbevölkerung zurückzubinden versucht.
Der angebliche Gegensatz zwischen «der Wirtschaft» und den Nichtregierungsorganisationen ist ein Mythos. Er grenzt verantwortlich handelnde Wirtschaftsvertreter aus. Im Juli haben wir einen kritischen Bericht zum Goldhandel veröffentlicht. Cédric Léger, Präsident des schweizerischen Verbandes der Edelmetallhersteller und -händler stellte dann öffentlich fest: «Wir nehmen den Bericht von Swissaid ernst.» Unser Beitrag stiess Veränderungen an. Diese werden die Branche weiterbringen. Menschen, die heute unter den Praktiken des Edelmetallhandels leiden, werden das zu spüren bekommen und dankbar sein.
Wir arbeiten daran, dass Menschen genug zu essen haben und eine nachhaltige Existenz aufbauen können.
Unsere Gegner unterstellen uns, wir würden Bundesgelder für politische Kampagnen missbrauchen. Falsch: Mit begrenzten Mitteln müssen wir in fragilen Gebieten ehrgeizige und überprüfbare Resultate erzielen. Bundesunterstützung wird selbstverständlich finanziell abgegrenzt und dient nur den vertraglich vereinbarten Zielen – Kampagnen sind explizit ausgeschlossen.
Zusammen mit vielen engagierten Mitarbeitenden auf dem Globus arbeiten wir daran, dass Menschen genug zu essen haben und eine nachhaltige Existenz aufbauen können. Die Förderung einer nachhaltigen Wirtschaft vor Ort ist ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit.
Als Leitstern dienen uns die auch in der Schweiz geltenden UNO-Nachhaltigkeitsziele. Sie lehren uns vor allem eines: Nachhaltige Entwicklung ist ohne Gestaltung der Rahmenbedingungen nicht zu haben. Warum nur beschränken wir uns nicht einfach auf die Projekte im Süden? Die Antwort ist klar: Wir erleben tagtäglich die katastrophalen Auswirkungen von ungleichen Spiessen in unseren Projektländern.
Das Individuum kann sich dagegen schlecht wehren. Auf politischer Ebene ist es deshalb unser Auftrag, gegenüber Regierung, Verwaltung und Wirtschaft die Interessen von benachteiligten Menschen und Ländern auch in der Schweiz zu vertreten. Mit Besonnenheit – und manchmal etwas Biss.
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Gastkommentar zur Steuerbefreiung für Hilfswerke – Attacken auf uns Hilfswerke untergraben die Demokratie
Bürgerliche Politiker stellen die Finanzierung der Hilfswerke infrage. Dabei bräuchte es jetzt Besonnenheit.