
«Auf und davon» stillt eine Sehnsucht, die so urschweizerisch ist, dass sie das Wohnzimmer nicht einmal verlassen muss. In einem Land, in dem man schon privilegiert zur Welt kommt, träumt keiner mehr vom sozialen Aufstieg, Amerika ist eh kein Vorbild mehr. Ein Spurwechsel darf es sein, etwas Abenteuer, ein neuer Alltag, aber bitte von allem nur ein bisschen, und das vom Sofa aus. Denn das natürliche Habitat dieser Sehnsucht ist die Komfortzone. In der Pandemie war «Auf und davon» die erfolgreichste Dokureihe der Schweiz, mit durchschnittlich 675’000 Zuschauern und fast 38 Prozent Marktanteil.
Den Neid über den Bruch mit dem langweiligen Alltag schlucken wir geübt hinunter.
Die Sehnsucht nach dem Auswandern ist so alt wie unser Land. Novo Friburgo, New Berne, Locarno Springs – im 19. Jahrhundert trieben Hunger und Perspektivlosigkeit Tausende von Schweizer Siedlern in die Ferne. Vom Mut der Verzweiflung bleibt 200 Jahre später höchstens noch der Mut. Die Leute heute müssen nicht mehr gehen – sie wollen. Rund 780'000 Auslandschweizer zählte die Regierung 2018, viele von ihnen haben ihre Altersvorsorge für das Versprechen eines unbeschwerten Lebens in Thailand, Costa Rica oder Uruguay aufgelöst.
Dass sie das Fernsehen seit über zehn Jahren dabei begleitet, ist als Idee nicht zündend, aber dennoch ein Erfolg. Hermann Schönbächler ist auch durchschnittlich TV-Interessierten längst ein Begriff, der bärtige Holzfäller, der mit seiner Familie ins kanadische Rosswood auswanderte, bescherte den Machern einen Fernsehpreis und wurde mit seinen Sprüchen zur Youtube-Berühmtheit.
Harmonisch wie bei den Schönbächlers enden längst nicht alle Geschichten vom Glück in der Fremde. Manchmal sind die Behörden störrischer, ist das Bauen teurer als gedacht. Und genau dort liegt der Reiz der Sendung, setzt der Voyeurismus ein. Wir wollen über den sperrigen Akzent der Auswanderer spötteln, ihr unterdrücktes Heimweh spüren, wir wollen sie ihre Ersparnisse in das marode Café investieren sehen.
Aus sicherer Distanz amüsieren wir uns köstlich, wenn dem ach so mutigen Schweizer in Marokko ein lahmes Kamel verkauft wird. Den Neid über den Bruch mit dem langweiligen Alltag schlucken wir geübt hinunter. Wir wollen doch nur zuschauen, wie sich jemand neu erfindet – solange der eine oder andere krachend scheitert.
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Pandemie-Hit «Auf und davon» – Auswanderer in der Misere: Warum wir sie gerne scheitern sehen
Auf Fuerteventura schmerzt ein Zahn, auf Bali leckt ein Wassertank, in Kanada fehlt ein Traktor. Herrlich!