Gartenkolumne «Nachgehackt»Bärlauch-Überdosis
Endlich Frühling! Man könnte meinen, jetzt sei alles erwacht. Tatsächlich aber herrscht momentan die kargste Zeit bei unserer Gartenkolumnistin.

Es gab eine Zeit, da habe ich mich auf den Bärlauch gefreut. Was sage ich da: Bisher habe ich mich jedes Jahr auf den Bärlauch gefreut. Er war das erste Zeichen des Frühlings. Ich wusste, nun geht es bald wieder richtig los mit den frischen Sachen im Garten. Mit dem Salat Anfang April, dann mit den Kräutern und spätestens im Mai endlich mit dem Spinat, dem Blumenkohl, den Spargeln, dem Kohlrabi. Aber noch vorher, da war nur der Bärlauch.
«Du mit deinem Bärlauch!»
Auch in diesem Jahr bin ich schon Ende Februar und Anfang März zweimal vergeblich mit dem Velo zu unserer Stelle im Wald gefahren, wo wir ihn immer pflücken. Die Tochter, die mich begleitete, konnte darob nur den Kopf schütteln. «Du mit deinem Bärlauch!», sagte sie erschreckend abgeklärt für eine Achtjährige.
Ich sah meine Zeit gekommen, als wir kurz später eine Kräuterspirale im Garten bauten. Die ganze Familie half mit, aus Steinen eine Mauer zu legen, die gegen innen immer höher wird. Am Fuss der Spirale gruben wir ein grosses altes Becken ein, das wir mit Steinen füllten. Wir holten beim Gartenbaugeschäft im Dorf eine Heckschaufel voll Humus, befüllten die Spirale nach Lehrbuch. Denn bei einer Kräuterspirale wird die Erde in zunehmender Höhe sandhaltiger und damit auch trockener. Das gefällt mediterranen Kräutern wie Rosmarin und Lavendel. Ich schlug mutig vor, im untersten Feuchtbereich Bärlauch anzusiedeln, so hätten wir ihn immer im Garten. Der Rest der Familie schüttelte den Kopf, Brunnenkresse war ihnen lieber.
Mitte März kam der Bärlauch im Wald dann doch. Am selben Tag stand das erste Pesto auf dem Tisch. Nach einer Höflichkeitsrunde mit Sauce entschied sich der Nachwuchs lieber für Spaghetti pur. Trotzdem folgten in den nächsten Tagen und Wochen Bärlauchsuppe, zweites Pesto, Bärlauchspätzli, drittes Pesto.
Eine fiese Strategie
Aber auch etwas anderes folgte: Es zog mich nicht mehr in den Wald. Ich hatte die Lust am Bärlauch verloren. Ein Sack gepflückter Bärlauch blieb so lange im Kühlschrank liegen, dass wir die Blätter schliesslich den Hühnern verfütterten. Dabei bangte ich, ob die Eier nicht plötzlich einen Geschmack nach Bärlauch haben würden. Spätestens an diesem Punkt war klar: Ich hatte eine Bärlauch-Überdosis. Vorbei die Zeiten, in denen wir Pesto sogar noch eingefroren hatten, um die Bärlauchsaison zu verlängern.
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Es kann doch kein Zufall sein, dass Bärlauch wächst, wenn alles andere noch im Winterschlaf ist. Hätte Bärlauch irgendeine Chance gehabt auf dem Tisch zu landen, wenn es sich nicht diesen unschlagbaren saisonalen Vorteil verschafft hätte? Eine fiese Strategie, die bisher noch niemand durchschaut hat.
Aus Mangel an Alternativen gibt es bei uns nun täglich Salat. Schnittsalat, Rucola, Kopfsalat, etwas Löwenzahn. Wenn ich das spriessende Frühbeet betrachte, breitet sich innerlich eine Freude aus. Kein Mittagessen, währenddessen ich nicht betone, wie schön es doch sei, Salat aus dem eigenen Garten zu essen. Kein Mittagessen, währenddessen die Tochter nicht die Augen verdreht: «Du mit deinem Salat», sagt sie.
Aber hey, von einer Salat-Überdosis habe ich noch nie gehört.
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