Geldberater: Der Marktschrei(b)erBörsenneuling PolyPeptide geht ab wie eine Rakete
Straumann agiert formidabel +++ Abwärtsdruck auf Schindler steigt +++ Adecco ist schon am Höhepunkt +++ Auf Swiss Re lauern grosse Gefahren.

PolyPeptide: Meiden
Die Anleger haben PolyPeptide beim Börsendebüt am Donnerstag ebenso herzlich in die Arme geschlossen wie ihre Konkurrentin Bachem. Die beiden Pharmaauftragsfertiger sind auf Peptide spezialisiert und decken die Hälfte dieses Nischenmarktes ab. Von daher ist es verständlich, dass sich der etwas kleinere Neuling an der Kursrakete orientiert. Am ersten Tag schlossen PolyPeptide-Papiere gegenüber dem Ausgabepreis mit plus 22 Prozent. Die beiden befinden sich mit geschätzten Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 64 und 66 nun in derselben astronomischen Sphäre. Ich finde es gewagt, sie schon jetzt auf eine Stufe zu stellen. Umsatzwachstum und Profitabilität von PolyPeptide liegen tiefer. Während Bachem Investitionsprojekte angekündigt hat, scheint PolyPeptide nicht recht zu wissen, was es mit den 200 Millionen aus dem Börsengang anstellen soll. Denen, die daran partizipieren konnten, gratuliere ich. Sie sollen die Aktien halten. Ich will erst sehen, wie sich das Unternehmen schlägt, und spekuliere auf einen Rückschlag. Dann würde ich wieder kaufen. Vorerst aber: Meiden
Straumann: Kaufen
«Beeindruckendes Zahlenwerk, das die höchsten Erwartungen übertrifft», ein Wachstum «in astronomischen Höhen», eine Leistung, «die uns vom Hocker gerissen hat» – so euphorisch äusserten sich Finanzanalysten über das erste Quartal von Straumann. Superlative sind in der Tat angebracht. Das Dentalunternehmen hat die Einnahmen in den ersten drei Monaten um ein Drittel gesteigert. Natürlich hat die schwache Vergleichsbasis geholfen. Im Vorjahressemester war der Umsatz wegen Corona zum ersten Mal nach sechs Jahren geschrumpft. Aber eine solch rasante Erholung hat niemand erwartet, nicht einmal Straumann selbst, behaupte ich. Kein Wunder, erhöht die Unternehmensleitung die Jahresprognose markant. Statt eines Umsatzwachstums von gegen 10 Prozent rechnet sie nun mit 25 bis 29 Prozent. Gleichzeitig soll die Profitmarge steigen. Dass dem Zahnimplantatspezialisten bereits 2021 ein Rekordjahr gelingt, darauf hätte ich nicht gewettet. Die Aktien wegen der sehr hohen Bewertung zu meiden, hat sich als Fehler erwiesen. Seit Jahren überrascht Straumann immer wieder aufs Neue. Kaufen
Schindler: Halten
Die Erfolgsgeschichte des Lift- und Rolltreppenherstellers Schindler ging im ersten Quartal weiter. Bereits wurde in Franken das Niveau des Ergebnisses von 2019 erreicht. Die Pandemiekerbe konnte ausgewetzt werden. Die Betriebsgewinnmarge ist mit 11,6 Prozent gar höher als vor zwei Jahren. Doch jetzt steigt der Druck. Höhere Rohmaterial- und Logistikpreise werden vor allem in der zweiten Jahreshälfte auf der Marge lasten. Dazu kommen nun Aufträge aus der Pandemiezeit mit weniger Marge zur Auslieferung. Der Rest des Jahres dürfte schwieriger werden, jedenfalls was die Profitabilität betrifft. Das Wachstumsziel wurde dagegen leicht erhöht. Das Programm «Top-Speed-23» soll die Digitalisierung und Produktentwicklung beschleunigen. Schindler arbeitet seit Jahren gut, was im Aktienverlauf zum Ausdruck kommt, der den Marktindex SPI übertrifft. Weil die Bewertung, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis, hoch ist – es beträgt über 30 –, sollten die Titel nur nach Kursrückschlägen gekauft werden. Vorerst gilt: Halten
Adecco: Halten
Ich habe es leider verpasst, bei der zügigen Erholung der Aktien von Adecco dabei zu sein. Beim Stellenvermittler dürfte sich das Geschäft weitgehend normalisiert haben. Das wird von der Börse bereits vorweggenommen. Der Konzern ist mehr wert als vor Ausbruch der Pandemie. Für einen Einstieg ist es nun zu spät. Denn die Titel korrelieren stark mit der Weltkonjunktur. Der Hintergrund: Die Nachfrage nach Zeitarbeit ist in einem Aufschwung besonders gross. Trüben sich die Aussichten ein, wird bei den Temporärjobs aber zuerst gespart. Die aussergewöhnliche Dynamik der Wirtschaftsprognosen nach dem Corona-Einbruch dürfte demnächst ihren Höhepunkt erreichen, von den Aktien ist eine Verschnaufpause zu erwarten. Für mich steht ohnehin im Vordergrund, wie rasch Adecco es schafft, stärker auf Ausbildung und Talententwicklung zu fokussieren, um weniger konjunkturabhängig zu werden. Das wäre neben der attraktiven Dividende und dem Aktienrückkaufprogramm ein weiterer Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Aber ein solcher Umbau braucht Zeit. Halten
Swiss Re: Meiden
Eine Drittelmilliarde Überschuss ist es für Swiss Re geworden. Viel mehr Quartalsgewinn wäre es für den Versicherer gewesen, hätte er nicht hohe Sonderzahlungen leisten müssen. Ausserordentlich gekostet haben die gestiegenen Todesfälle wegen Covid-Erkrankungen. Sie lösten auf Verträgen mit Versicherungsunternehmen, hauptsächlich in den USA und Grossbritannien, grosse Sterblichkeitsleistungen aus. Nicht budgetiert war zudem das ungewohnt heftige Winterwetter in den US-Südstaaten, das enorme versicherte Sachschäden verursachte. Nun hat das Unternehmen die Bedingungen neuer Policen angepasst. Die Tarife sind angehoben und die Zahlungsbedingungen restriktiver definiert worden. Doch das Chancen-Gefahren-Profil bleibt komplex. Die Klimaveränderung provoziert womöglich zusätzliche schwere Naturereignisse, die Pandemie könnte erneut aufflackern, und der weltweit steigende Strom digitaler Daten ist anfällig für Missbrauch durch Cyberkriminelle. Eine Häufung ungünstiger Ereignisse im Jahresverlauf könnte die Finanzlage von Swiss Re erneut zerzausen. Vorsicht bleibt angebracht. Meiden
Diese Kolumne wird von den Redaktorinnen und Redaktoren der «Finanz und Wirtschaft» verfasst. Sie haben sich verpflichtet, nicht in den entsprechenden Titeln aktiv zu sein. Wer die Tipps dieser Kolumne umsetzt, tut das auf eigenes Risiko. Die SonntagsZeitung übernimmt keine Verantwortung. Weitere Artikel der «Finanz und Wirtschaft» finden Sie unter www.fuw.ch.
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