
Ginge es um Sport, müsste es heissen: Gold für Russland, Silber für Aserbeidschan, Bronze für die Türkei – und Aus für Armenien. Es geht aber nicht um Sport. Es geht um Krieg. Um einen Krieg, in dem in wenigen Wochen Tausende Menschen gestorben sind, auch Zivilisten. Insofern ist die Nachricht von der Waffenruhe im Kampf um Berg-Karabach für alle Beteiligten eine gute. Selbst für die Armenier: Sie standen vor einer Niederlage, ihnen drohten Massaker und Vertreibung.
Der Rest ist Geopolitik. Bei der gibt es wie immer Gewinner und Verlierer. Der russische Präsident Wladimir Putin ist der Nutzniesser der blutigen Ereignisse im Südkaukasus. Er hat mit kühlem Kopf abgewartet, wie sich die Dinge entwickeln. Als der Ausgang dann absehbar war, hat der Machthaber im Kreml die Aserbeidschaner und Armenier genau in dem Moment zu einer Waffenruhe gezwungen, in dem die armenischen Truppen vor der sicheren Niederlage standen.
Die Waffenruhe kommt der Kapitulation der Führung in Jerewan gleich: Für Armenien dürfte Berg-Karabach so gut wie verloren sein.
Die Waffenruhe kommt der Kapitulation der Führung in Jerewan gleich: Für Armenien dürfte Berg-Karabach so gut wie verloren sein. Das Beste, was die armenischen Bewohner der zwischen den beiden Nachbarn umstrittenen Bergregion nun erwarten können, ist Autonomie unter der Herrschaft der ungeliebten Aserbeidschaner. Das ist bitter für die Armenier, denn das Hochland ist ihnen quasi heilig. Sie bezahlen nun die Rechnung für ihre hochnäsige Politik, mit der sie die Berg-Karabach-Frage als im eigenen Sinne gelöst behandelt hatten.
Den Aserbeidschanern und den sie unterstützenden Türken hat Putin mit seinem Machtwort den Sieg gestohlen. Triumph auf dem Schlachtfeld war das, wovon Aserbeidschans Präsident Ilham Alijew und sein Verbündeter Recep Tayyip Erdogan träumten. Das hat Putin nicht gestattet. Und das ist gut so. Den Armeniern in Berg-Karabach hätte im Fall einer offenen Niederlage die Rache der Aserbeidschaner für das gedroht, was im ersten Karabach-Krieg vor 30 Jahren geschehen ist. Das wäre wohl furchtbar geworden.
Erdogan kann sich zurücklehnen. Ankara spricht nun auch im Kaukasus mit.
Dennoch können die Präsidenten Alijew und Erdogan zufrieden sein. Aserbeidschan hat weite Teile seines Staatsgebiets zurückerobert. Das sind neben Berg-Karabach die umliegenden Gebiete in der Ebene; es geht um fast 20 Prozent des Territoriums des muslimischen Landes. Wenn Baku geschickt verhandelt, hat es sogar Chancen, sein gesamtes Land zurückzubekommen. Es könnte dann Hunderttausenden Flüchtlingen die Rückkehr in die Heimat ermöglichen, aus der sie beim Untergang der UdSSR von den Armeniern vertrieben worden waren.
Auch Erdogan kann sich zurücklehnen. Mit einem neuen – erfolgreichen – aussenpolitischen Abenteuer hat er in wenigen Wochen bewiesen, dass nicht nur am Mittelmeer und am Schwarzen Meer mit der Türkei als militärisch starker Regionalmacht gerechnet werden muss. Ankara spricht nun auch im Kaukasus mit. Eines allerdings muss der türkische Hasardeur hinnehmen: Gegen den Mann im Kreml kommt er nicht an.
So wie die Dinge nun liegen, entscheidet Putin weitgehend allein, wie es weitergeht in Berg-Karabach. Sofort nach Unterzeichnung der Vereinbarung über die Waffenruhe hat er russische Truppen in Marsch gesetzt; sie sollen die Kriegsparteien trennen. Mit der Blitzaktion hat Putin klargestellt, wer weiterhin das letzte Wort hat im Kaukasus: Moskau.
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Kommentar zu Berg-Karabach – Das letzte Wort hat Putin
Die Nachricht von der Waffenruhe im Kaukasus ist eine gute: Aserbeidschaner und Türken dürfen sich als Sieger fühlen, die Armenier entgehen einer fürchterlichen Niederlage. Über das weitere Schicksal der Region aber wird allein in Moskau entschieden.