
Während die einen darauf hinweisen, dass die Schweiz weltweit strengste Tierschutzrichtlinien kennt, mahnen andere, dass trotzdem 70 Prozent der «Nutztiere» lebenslänglich keinen einzigen Tag Auslauf haben: So über 500’000 Schweine, die zu zehnt auf der Fläche eines Autoparkplatzes gehalten werden; 73 Millionen Hühnern steht sogar nur je die Fläche eines A4-Blatts zu. Die einen plädieren für tiefe Preise und freien Markt, andere prangern die negativen Folgen von Massenproduktion und -konsum für Mensch und Umwelt an.
Ob es banaler Zufall oder höhere Fügung sein mag, dass der Abstimmungssonntag mit dem Festtag des Landespatrons Niklaus von Flüe zusammenfällt? Jedenfalls haben sich die Landeskirchen zu dieser ethisch relevanten Vorlage erstaunlich distanziert gehalten. Obwohl ihr heftig kritisiertes Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative nach Klagen vom Bundesgericht im Ergebnis geschützt worden ist, scheinen sie weiteren politischen Konfrontationen nunmehr lieber ausweichen zu wollen.
Dem Bild des eigensüchtigen Halters setzt schon das Alte Testament das Gottesbild des Guten Hirten entgegen, der seine Tiere in Fürsorge leitet.
Doch eine glaubwürdige Kirche muss sich bei gewissen Themen mit klaren Botschaften auch auf unangenehmes Terrain wagen. Als entsprechende Wegweiser könnten folgende Gedanken stehen:
Am Schöpfungsanfang schafft Gott Tiere wie Menschen und trägt Letzteren auf: «Füllt die Erde und unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen.» Dieser Herrschaftsauftrag aber gilt keineswegs absolut; der Mensch ist weniger Eigentümer denn Hüter der ihm anvertrauten Tiere, die er massvoll nutzen, aber nicht ausnützen darf: «Am siebten Tag aber sollst du ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen.»
Dem Bild des eigensüchtigen Halters setzt schon das Alte Testament das Gottesbild des Guten Hirten entgegen, der seine Tiere in Fürsorge leitet. In den Guthirt-Gleichnissen des Neuen Testaments wird schliesslich betont, dass es nicht nur um die Sorge für die Herde als Ganzes, sondern jedes einzelne Wesen geht.
Auch der Schweizer Landespatron Bruder Klaus war in seiner Zeit vor dem Eremitenleben Tierhalter: Der – im Gegensatz zur gemeinsamen «Allmend» – als «Ifang» eingezäunte Privatbesitz beschränkte sich bei einer damaligen «Hofstatt» auf die Haltung von zwei Kühen, einigen Kälbern sowie einem Pferd. In einer Vision staunte er, dass aus einem Brunnen, «aus dem Wein, Öl und Honig fliessen», niemand zu schöpfen hinging, «was doch leicht gewesen wäre, da er doch allen gehörte». Daneben sah er in einem umzäunten, nur gegen Eintrittsgeld zugänglichen Gehege «eine grosse Menschenmenge, so viel zu arbeiten hatten und doch arm blieben».
Letztlich wird es am 25. September um eine wertende Abwägung gehen.
Das Gleichnis liest sich als Kritik an den lokalgesellschaftlichen Strukturbrüchen des frühneuzeitlichen Kapitalismus und widerhallt in der Klaus zugeschriebenen, heute von rechten Krisen freilich ganz anders kontextualisierten Weisung: «Machet den zun nit zuo wit!»
Den spirituellen Hintergrund von Bruder Klaus prägte besonders auch die Tradition der spätmittelalterlichen Mystiker: Inspiriert vom Sonnengesang des Franz von Assisi, mochte er mit ihnen beten: «Aller Tierlein und Vöglein und Gottes unscheinbarer Kreaturen Mangel und Trauer, so ich das sah und hörte, ging mir an mein Herz, und so ich ihnen nicht helfen konnte, bat ich den obersten milden Herrn, dass er ihnen helfe.»
Letztlich wird es am 25. September um eine wertende Abwägung gehen: Will es die Schweiz bezüglich Tierhaltungsbedingungen bei ihrem Selbstlob belassen und den – übrigens erst seit der Nachkriegszeit aufgekommenen – Massenkonsum von billigem und erst noch fiskalisch subventioniertem Fleisch fortsetzen?
Oder will sich die reiche Schweiz leisten, die «weltweit strengsten» Tierschutzrichtlinien an neue ökonomische, ökologische und ethische Einsichten anzupassen, notabene mit einer wahrhaft «helvetischen» Umsetzungsfrist von 25 Jahren? Letztere Frage mit einem entschiedenen «JA» zu beantworten, gehört zum Verkündigungsauftrag der Bewahrung der Schöpfung. Ebenso ist unser privilegiertes Land in einer ethischen Pflicht mit globaler Signalwirkung zu sehen. Wenn die Kirchen ihre Stimmen bei solchen Elementarfragen nicht mehr erheben, dürfen sie sich nicht beklagen, nicht mehr gehört zu werden.
* Der Luzerner Unternehmensjurist Loris Mainardi war von 2011 bis 2017 Assistent für Rechts- und Staatsphilosophie an der Universität Luzern.
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Gastkommentar zur Massentierhaltung – Das Schweigen der Kirchen
Bei der Massentierhaltungsinitiative stünden die Landeskirchen in der Pflicht, ihre Stimme zu erheben.