Das Sturmgewehr könnte Donald Trump die Wiederwahl kosten
Die Mehrheit der Amerikaner hat die Waffenflut satt. Schärfere Gesetze könnten im Wahlkampf überzeugen – vor allem in einer entscheidenden Zielgruppe.

Die meisten Amerikaner besitzen keine Schusswaffen. Umfragen zufolge gibt es nur in etwa vier von zehn Haushalten ein Gewehr oder eine Pistole. Die meisten Amerikaner sind ausserdem dafür, dass der Zugang zu Schusswaffen beschränkt wird. Als das Meinungsforschungsinstitut Gallup die Bürger im Oktober 2018 befragte, ob sie schärfere Waffengesetze befürworteten, antworteten deutliche 61 Prozent mit Ja.
In diesen Zahlen steckt eine Erkenntnis: Die Forderung nach härteren Waffengesetzen muss nicht zwangsläufig ein Verliererthema sein; schon gar nicht, wenn die USA weiterhin von Massenschiessereien erschüttert werden wie jenen am Wochenende in El Paso und Dayton, bei denen mehr als 30 Menschen getötet wurden. Und in den Zahlen steckt eine Frage: Wenn die Mehrheit der Amerikaner die Waffenflut und die damit einhergehende Gewalt satthaben und eindämmen wollen – wie wird sich das Thema dann nächstes Jahr im Präsidentschaftswahlkampf auswirken? Wird es den Demokraten im Kampf gegen Präsident Donald Trump helfen?
Die Republikaner haben sich in eine Ecke manövriert und von einer völlig kompromisslosen Klientel abhängig gemacht.
In der Vergangenheit haben meist die Republikaner profitiert, wenn das Thema Waffen zur Sprache kam. Sie haben es geschafft, jene Wähler an sich zu binden, für die das im 2. Zusatzartikel der Verfassung festgeschriebene Recht auf Waffenbesitz so wichtig ist, dass sie allein aufgrund dieser Frage ihre Wahlentscheidung treffen. Die Angst, dass ihnen etwas weggenommen werden könnte, war bei Wahlen extrem motivierend für die Waffenfreunde. Den Republikanern hat das immer wieder Siege eingebracht.
Diese enge Bindung ist einer der Gründe, warum die Republikaner – zusätzlich angestachelt von der mächtigen Waffenlobby National Rifle Association (NRA) – sich immer noch so hartnäckig gegen jede Verschärfung der Waffengesetze sträuben, selbst gegen geringfügige. Sie haben ihren Kernwählern jahrzehntelang erzählt, dass jedes Zurückweichen in dieser Frage das Verfassungsrecht auf Waffenbesitz ausheble. Wahltaktisch gesehen, haben sich die Republikaner damit in eine Ecke manövriert und von einer völlig kompromisslosen Klientel abhängig gemacht.
Trump selbst hatte 2016 mit diesem Dilemma zu kämpfen. Vor seiner Zeit als Politiker, als er noch Geschäftsmann in New York war, befürwortete er schärfere Waffengesetze. Im Wahlkampf wandelte er sich dann plötzlich zu einem entschlossenen Gegner. Die NRA dankte ihm die Wende mit begeisterter Unterstützung.
Trump hat sich festgelegt
Für Trump bedeutet das: Was das Thema Waffenkontrolle angeht, ist er für den Wahlkampf im kommenden Jahr weitgehend festgelegt. Seine Kernwähler, vor allem weisse Männer aus der ländlichen unteren Mittelschicht, erwarten, dass er keine schärferen Waffengesetze zulässt. Für sie ist das nicht verhandelbar. Wenn Trump einknickt, riskiert er, dass etliche dieser Wähler am Wahltag frustriert zu Hause bleiben – ein Stimmenverlust, den er sich kaum leisten kann.
Der politische Spielraum der Demokraten ist hingegen wesentlich grösser. Bei ihnen verlangt die Parteibasis geradezu, dass der künftige Präsidentschaftskandidat ein Massnahmenpaket zur Verschärfung der Waffengesetze vorlegt.
74 Prozent der Frauen in Kleinstädten und Vororten halten ein Verbot von Sturmgewehren für eine gute Idee. Das zu ignorieren, ist politisch gefährlich.
Was da im Detail drinstehen wird, bleibt abzuwarten. Aber es gibt viele Vorschläge für härtere Vorschriften, die sowohl verfassungsrechtlich möglich als auch bei den Bürgern beliebt – und somit wahlkampftauglich – wären. Dazu gehört vor allem die Ausweitung der sogenannten background checks, also eine schärfere Überprüfung von Waffenkäufern. Eine aktuelle Umfrage des Marist College in New York zeigt, dass neun von zehn Amerikanern das befürworten.
Auch ein erneutes Verbot von militärischen Sturmgewehren, wie es von 1994 bis 2004 galt, fänden dieser Erhebung zufolge 57 Prozent aller Bürger gut. Es ist daher kein Zufall, dass mehrere demokratische Präsidentschaftskandidaten eine Neuauflage fordern. Dieselbe Umfrage belegt zugleich auch wieder das Dilemma, in dem Trump beim Thema steckt: 67 Prozent der Republikaner-Wähler lehnen ein Verbot von Sturmgewehren ab.
Frauen haben genug
Die Demokraten könnten zudem davon profitieren, dass die Begeisterung der Wähler für den freien Zugang zu Waffen besonders an jenen Orten und in jener Wählergruppe sinkt, die nach Ansicht vieler Experten für den Ausgang der Wahl mitentscheidend sein werden: in den Vororten der Städte, bei gut ausgebildeten weissen Frauen der Mittelschicht. Der Marist-Umfrage zufolge hält eine Mehrheit von 74 Prozent der Frauen in Kleinstädten und Vororten ein Verbot von Sturmgewehren für eine gute Idee. Das zu ignorieren, ist politisch gefährlich.
Schon bei der Kongresswahl 2018 sind diese Wählerinnen, die in der Vergangenheit oft für die Republikaner gestimmt haben, der Partei in Scharen davongelaufen und haben den Demokraten so den Sieg beschert. Nachwahlumfragen ergaben damals, dass 59 Prozent der Wähler bei der Kongresswahl eine Verschärfung der Waffengesetze befürwortet haben. Von ihnen stimmten satte 76 Prozent für die Demokraten – kein gutes Omen für Trump. Andererseits sollte man die Aussagekraft einer Kongresswahl für die Wahl des Präsidenten nicht überschätzen. Ob sich in einem Jahr die Wähler noch an die Massaker in El Paso und in Dayton erinnern, ist zweifelhaft.
Vielleicht mobilisiert Trump dadurch, dass er trotz grossem Druck schärfere Waffengesetze verhindert, auch genügend neue waffenfreundliche Wähler und gleicht so mögliche Verluste aus. Oder vielleicht macht er angesichts der Stimmung bei den Wählern auch einfach wieder eine Wende.
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