Unihockey: Jets im PlayoffDer Captain punktet mit Weitschüssen und Pünktlichkeit
Michel Wüst steht mit Kloten-Dietlikon im Halbfinal gegen Obwalden unter Druck – es ist nicht das erste Mal. Welche Erinnerungen er ins Feld führt und warum er trotz Höhenangst einen Fallschirmsprung plant.

Es ist vermutlich eine seiner einfachsten Übungen: Am Sonntagabend versenkt Ad Astras Schwede Isak Stöckel den Ball 40 Sekunden vor Spielschluss von der Mittellinie aus im leeren Tor der Jets. Yannick Jaunin hat das Heimteam in der Stighag kurz zuvor mit einem Ablenker im Slot zum 8:9 nochmals hoffen lassen. Doch der geradlinige Empty-Netter steht exemplarisch für die Erkenntnis, die Jets-Captain Michel Wüst aus den bisherigen zwei NLB-Playoff-Duellen mit Ad Astra Obwalden gewinnt: «Wir mussten zu viel Aufwand betreiben, um Tore zu schiessen. Den anderen fiel das leider leichter.»
«Wir haben es über zwei Partien nie geschafft, eine Führung herauszuspielen.»
Auch am Freitag beim 5:8 in Sarnen fallen die Jets keineswegs ab, doch der Gegner ist ihnen oft einen Schritt und fast durchgehend ein paar Tore voraus. Als Jan-Peter Burri zu Spielmitte die Partie ausgleicht, hält das Remis gerade mal eine halbe Minute. «Wir haben es über zwei Partien nie geschafft, eine Führung herauszuspielen», stellt Wüst fest. Die Ausländer machen für Sarnen den Unterschied: Ligatopskorer Stöckel, Fredrik Edholm und Spielertrainer Jakob Arvidsson hatten bei 15 der 18 Treffer ihren Stock im Spiel. Dass sich Spieler wie die drei Schweden nicht vollständig kontrollieren lassen, liegt auf der Hand. «Aber wir haben es ihnen in gewissen Situationen auch zu einfach gemacht», sagt der Jets-Verteidiger. Gleichzeitig ist er überzeugt davon, dass diese Best-of-5-Serie noch nicht gelaufen ist: «Wir haben zuletzt immerhin acht Tore geschossen. Das sollte eigentlich reichen, wenn wir konsequenter verteidigen.» Ein Sieg am Donnerstagabend in Sarnen ist zwingend, sonst ist die Saison für die Jets vorbei. Der Captain deutet den Druck in Befreiung um: «Wir haben jetzt wirklich nichts mehr zu verlieren.»
Traumatischer Gegentreffer
Das war auch schon einmal anders. Der 25-jährige Michel Wüst ist einer der wenigen im Team, der lange genug dabei ist, um mit den Obwaldnern eine weitaus folgenschwerere Niederlage zu verbinden, als es die aktuell verlorenen Playoff-Partien sind: Das Grounding der Jets in der höchsten Liga 2019. Sie unterlagen im Auf-/Abstiegsplayoff und mussten nach neun Jahren in der NLA ihren Platz für Sarnen (inzwischen wieder zweitklassig und mit neuem Namen «Ad Astra Obwalden») räumen. Wüst stand dazumal beim letzten entscheidenden Tor in der Ruebisbachhalle auf dem Feld und musste mitansehen, wie Ad Astra in der Verlängerung zum 6:5 traf. Es sei nicht so, dass er sehr oft daran zurückdenke, sagt Wüst. «Aber wenn, dann sind die Bilder im Kopf noch immer ganz klar.» Nach dem Abstieg verliess er die Jets.

Sein Abgang hatte weniger mit dem Verein, denn mit ihm selbst zu tun: «Ich wollte mir beweisen, dass ich mich in der NLA durchsetzen kann.» Die Antwort darauf, ob es ihm gelungen sei, kommt schnell: «Jein.» Das erste Jahr im UHC Uster war schwierig, die Situation unbefriedigend. Wüst spielte selten. Im Corona-Jahr kam er unter dem neuen Coach Simon Meier als Spieler zwar weiter, aber nicht unbedingt zu mehr Einsätzen. Uster bot ihm einen neuen Vertrag an, doch Wüst meint dazu: «Es heisst ja nicht umsonst Unihockey spielen». Seine Betonung liegt auf dem Verb, das ihn 2021 zurück nach Kloten führte.
Captain auf jeder Stufe
Seit es den ehemaligen Captain Jürg Graf vor einem Jahr mit seiner Freundin, der ehemaligen Jets-Stürmerin Jenna Taivaloja, nach Schweden zog, trägt Michel Wüst die Captainbinde. Er ist keiner, der das Amt sucht, eher findet es ihn. Das war schon so, als der Aargauer noch in der Juniorenabteilung von GC spielte. «Abgesehen von Uster bin ich früher oder später in jeder Mannschaft und auf jeder Stufe Captain gewesen.» Ernsthaft, pflichtbewusst, pünktlich – das ist Michel Wüst. Wären alle so wie er, gäbe es keine gemeinsamen Anlässe auf Kosten der Teamkasse. Mehr als eine Fünf-Franken-Busse hat der Wirtschaftsstudent bisher nicht kassiert. «Wofür das war, weiss ich nicht mehr», meint er schmunzelnd. «Aber bezahlt habe ich garantiert.»
«Michel beherrscht die Spieleröffnung und hat einen ausgezeichneten Distanzschuss.»
Seine Zuverlässigkeit, die gedankliche Eigenständigkeit und der Wille, Verantwortung zu übernehmen, sind gute Gründe, warum man Wüst in Kloten im letzten Frühling zum Captain machte. Er rede gerne und stelle dem Schiedsrichter auch mal eine kritische Frage, sagt er über sich selbst. Für Sportchef Samuel Kuhn kommt die Leistung auf dem Feld hinzu: «Michel beherrscht die Spieleröffnung und hat einen ausgezeichneten Distanzschuss.» Viele seiner Tore resultieren aus Freistosssituationen und fallen im Powerplay. Aktuell ist Wüst der fünftbeste Torschütze des Teams und damit ein Offensivverteidiger, der zum mutigen Angriffsunihockey von Jets-Cheftrainer Sven Engeler passt.

Noch hat sich Michel Wüst nicht entschieden, wie es für ihn nach dieser Saison weitergeht. Bald wird er seine Masterarbeit an der Universität Zürich abgeben und im Berufsleben Fuss fassen wollen. Aber auch das Thema Aufstieg geistert weiterhin durch seinen Kopf. Weitere drei Jahre wollen sich die Jets dafür Zeit geben, hiess es im letzten Sommer von offizieller Seite. «Dafür müssen wir punkto Trainingsintensität und Professionalität noch einen Zahn zulegen», bemerkt Wüst.
Die Erfahrung der Freundin
Was es für absolutes Spitzenunihockey braucht, weiss er aus guter Quelle. Seine Freundin spielte jahrelang in der NLA, zuletzt für die Jets und gehörte zum erweiterten Kreis des Nationalteams. Im letzten Sommer ist Tanja Bühler zurückgetreten. «Ihre einzige und für mich nicht minder wichtige Rolle im Unihockey ist aktuell die der Zuschauerin», sagt Wüst und fügt an, es sei gut im gemeinsamen Zuhause in Embrach jemanden zu haben, der genau verstehe, wofür und warum er so viel Freizeit opfere.
Denn Michel Wüst sucht immer mal wieder den Ausbruch aus der Komfortzone. Mit seinen zwei Brüdern, mit denen er einst im aargauischen Mellingen die Begeisterung fürs Unihockey entdeckte, ist schon länger ein gemeinsamer Fallschirmsprung geplant. Lust darauf hat er nur bedingt: «Ich habe Höhenangst», gesteht Wüst lachend. Es gehe ihm bei diesem Abenteuer darum, sich zu überwinden, ins Ungewisse zu springen, zusammen etwas Einzigartiges zu erleben. Es sind ähnliche Worte, mit denen er zuvor den potenziellen Aufstieg beschrieben hat.

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