Bargeldlos bezahlenDer Kassenzettel ist jetzt auch ein Glückslos
Der «scontrino», wie Italienerinnen und Italiener zum oft verschmähten Kassenzettel sagen, wird aufgewertet. Der Beginn eines Kulturwandels?

In ihrem Bestreben, den Bürgern das bargeldlose Bezahlen in Bars, Restaurants und Geschäften schmackhaft zu machen, hat die italienische Regierung am 1. Februar nach mehrmaliger Verschiebung ein Lotteriesystem für die Nutzung von Kreditkarten und EC-Karten eingeführt. Minimalbetrag: 1 Euro, der Preis eines Espresso an der Theke, so etwas wie die Grundeinheit italienischer Besorgungen.
Jeden Monat werden Prämien ausgeschüttet, steuerfrei, direkt aufs Bankkonto. Die Premiere ist für den 11. März geplant: fünfzehnmal 25’000 Euro, zehnmal 100’000 Euro. Einmal im Jahr gibt es eine grosse Ziehung: 5 Millionen Euro. Ab Juni kommen noch wöchentliche Ausschüttungen dazu.
Steuerhinterziehung bleibt eine nationale Untugend
Bisher war es ja eher so gewesen, dass man sich an so machen Kassen in Italien aktiv darum bemühen musste, einen Nachweis des Erworbenen zu erhalten – obschon die «scontrini» schon lange obligatorisch sind. Theoretisch kann hinter jeder Strassenecke ein Beamter der Guardia di Finanza stehen und die Quittung für den gerade getätigten Kauf verlangen. Doch passiert das nur selten. Und so bleibt Steuerhinterziehung eine nationale Untugend, im Kleinen wie im ganz Grossen, eine wahre Plage. Dem Staat entgehen Milliarden. Und nun also die Lotterie als Revolutionsbeschleuniger? Zumindest ist sie ein Anfang, ein Anreiz.
Wer da mitmachen mag, und das wollen offenbar viele, lädt auf einer Website des Staates einen personalisierten Barcode herunter, druckt ihn aus oder speichert ihn auf dem Handy und zeigt ihn jeweils beim elektronischen Bezahlen: So wird der Vorgang telematisch registriert und direkt bei der Steuerbehörde gemeldet. Vorausgesetzt natürlich, das Lokal oder der Laden macht mit. Auch unter den teilnehmenden Betrieben lost der Staat Prämien aus, sie sind allerdings viel tiefer als die für die Konsumentinnen und Konsumenten – ein Fünftel der Summen. Ein Logo auf der Tür zeigt an, wer dabei ist.
Ausgenommen sind Onlinekäufe und die Bezahlung von Dienstleistungen, etwa die des Sanitärinstallateurs. Der wird wohl auch weiterhin fragen, ob man einen schriftlichen Nachweis brauche und, im anderen Fall, den Preis für das geflickte WC um 50 Euro senken.
Die Lotteria degli scontrini ist Teil der Kampagne Italia Cashless, die sich die Regierung während der Pandemie ausgedacht hat. Dazu gehört auch ein ausgeklügeltes, mit vielen Bedingungen und Einschränkungen versehenes Cashback-Programm für Kunden, die mit Karte bezahlen. Um bei diesem Programm mitmachen zu können, muss man eine App herunterladen und eine elektronische Identitätskarte hinterlegen. So wird alles nachverfolgbar, jede steuerlich relevante Transaktion. An Weihnachten gings los. Die Nachfrage war so gross, dass die App zusammenbrach.
Oliver Meiler ist Italienkorrespondent. Er hat in Genf Politikwissenschaften studiert. Autor des Buches «Agromafia» (dtv, 2021).
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