FDP entscheidet über AKWDer Kernkraft-Fan hat einen Plan
FDP-Nationalrat Peter Schilliger träumt von einem Comeback der Kernkraftwerke in der Schweiz. 2017 hatte er noch für das Neubauverbot gestimmt. Damals wie heute muss er Kritik einstecken.

Peter Schilliger wagt eine Prognose: Am Samstag folgen die Delegierten in Montreux der Parteispitze, das Bauverbot für neue Kernkraftwerke soll fallen. Die FDP schwenkt um.
Die Ansage macht der FDP-Nationalrat im Restaurant Tibits im Bahnhof Luzern. Er holt sein Handy hervor und zeigt Aufnahmen seiner Reise nach Astana im Herbst 2017, wenige Monate nachdem das Stimmvolk die Energiestrategie 2050 gutgeheissen hatte – und damit das Bauverbot.
In Kasachstans Hauptstadt fand damals die Weltausstellung unter dem Titel «Future Energy» statt. «Kernenergie hat dort eine grosse Rolle gespielt», erinnert sich Schilliger. Er schwärmt von den technischen Möglichkeiten, etwa kleinen Kernkraftwerken auf Schiffen, die abgelegene Küstenregionen mit Strom versorgen können. Bereits damals habe er gespürt, dass das Bauverbot in der Schweiz nicht auf ewig zementiert bleiben dürfe.
In Montreux soll nun also ein erster Schritt zur Abschaffung des Verbots erfolgen. «Drei Viertel der Delegierten werden sich hinter die Parteispitze stellen. Mindestens», sagt der 62-Jährige, der seit 2012 mit einem kurzen Unterbruch im Nationalrat sitzt. Was macht ihn so sicher? Die Rückmeldungen von der Basis. «Die Stimmung ist klar.»
Einst Teil einer Allianz mit den Grünen
Doch so klar ist die Sache nicht, zumindest ist sie es bis jetzt nicht gewesen. Vor fünf Jahren stritt die FDP erbittert über die Energiestrategie 2050, damals noch unter Präsidentin Petra Gössi. Das Massnahmenpaket war eine direkte Reaktion auf Fukushima 2011. Die Delegierten befürworteten die Vorlage schliesslich, mit 175 zu 163 Stimmen jedoch nur knapp. Wenig später folgte das Stimmvolk (58 Prozent Ja). Der Bau neuer Meiler ist seither gesetzlich verboten. Die bestehenden Kernkraftwerke dürfen noch so lange weiterlaufen, wie sie die Atomaufsicht des Bundes als sicher einstuft.
Schilliger gehörte damals zu den Siegern. Er war Teil einer Allianz, die von den Grünen bis zur Hälfte der FDP reichte. Nun möchte er wieder Technologieoffenheit und somit das Verbot kippen. Es sei an der Zeit, die Energiestrategie neu zu denken, macht er klar. Im Freisinn ist etwas in Bewegung geraten – und Schilliger steht stellvertretend dafür. Im letzten Herbst fragte er in einem Vorstoss, wie der Bundesrat sicherzustellen gedenke, dass die Schweiz bei der nuklearen Forschung «nicht abgehängt wird». Diesen Januar wurde er deutlicher: In einem Gastbeitrag in der «Weltwoche» kritisierte er, die Schweiz sei auf dem «energiepolitischen Holzweg», Brüssel hingegen habe es «begriffen».
Kurz zuvor hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, was sie mittlerweile beschlossen hat: Sie stuft die Kernenergie als klimafreundlich ein, weil die nukleare Stromproduktion wenig CO₂ erzeuge – ein Signal an private Investoren auf der Suche nach nachhaltigen Projekten. «Klimaschutz und Kernkraft», so Schilliger, «gehören zusammen.»
«Natürlich habe ich den Text selber geschrieben!»
Nicht nur er sieht das so. Bereits vor zwei Jahren hatten die FDP-Mitglieder in einer internen Umfrage, wenn auch relativ knapp, für ein Comeback der Kernkraft votiert. Es war ein Vorbote der Kontroverse, die im Freisinn nun aufgebrochen ist. Der Blick auf die Kernkraft, so scheint es, verändert sich gerade. Dominierte nach Fukushima die Sicherheitsfrage die Debatte, hat sich der Fokus zuletzt verschoben, nicht nur des Klimaschutzes wegen. Im letzten Herbst veröffentlichte der Bund eine Studie, wonach ab 2025 in der Schweiz Strommangellagen im Winter möglich sind.
Das Klima retten, die Stromversorgung sichern: Nun sind es plötzlich die Kernkraftgegner, die sich erklären müssen. Was Wunder, fallen dieser Tage – natürlich diskret vorgetragen – spitze Bemerkungen. «Hat Peter Schilliger den Gastbeitrag wirklich selber geschrieben?», höhnt ein FDP-Mitglied. Damit konfrontiert, reagiert Schilliger pikiert: «Natürlich habe ich den Text selber geschrieben!» Zwar habe er zuvor auch mit Nuklearexperten gesprochen, das sei aber nichts als seriös. «Und bevor Sie weiterfragen: Nein, ich habe kein Mandat der Nuklearbranche.»
Der Satz hallt nach. Schilliger fühlt sich missverstanden: «Ich war immer ein Fan der Kernkraft.» Bei der Abstimmung über die Energiestrategie trug er das Bauverbot gleichwohl mit. Warum? Ein Jahr zuvor hatten die Grünen mit einer Volksinitiative darauf gedrängt, dass die Kernkraftwerke nach 45 Jahren Laufzeit vom Netz müssen. Beznau hätte 2017 den Betrieb einstellen müssen, Gösgen 2024, Leibstadt 2029.
Die Initiative scheiterte zwar an der Urne (54 Prozent Nein), doch der Ausgang war nicht von vornherein klar gewesen, Fukushima war damals mehr als eine verblassende Erinnerung. Die Gegner der Initiative, zu denen auch Schilliger gehörte, wussten: Die Abstimmung könnte verloren gehen. Sie mussten 2016 also zusichern, dass sie es mit dem Neubauverbot in der Energiestrategie ernst meinen. Er habe Wort gehalten, sagt Schilliger heute. Doch eine Herzensangelegenheit sei das Neubauverbot nie gewesen.
«Wahre Liberale können Verbote nicht gutheissen»
Für Schilliger kam es auch nicht infrage, wegen des Neubauverbots die gesamte Energiestrategie mit ihren Subventionen für den Ausbau der erneuerbaren Energien abzulehnen. Dafür musste er harte Kritik einstecken. Schilliger war (und ist) Mitinhaber einer Firma, die auf Gebäudetechnik spezialisiert ist. Er war (und ist) Verbindungsmann zum Verband Suissetec, der die Interessen der Gebäudetechnikbranche vertritt. «Peter Schilliger hatte damals nur noch Dollarzeichen in den Augen.» Wieder so eine Boshaftigkeit, die dieser Tage ein Freisinniger über Schilliger sagt.
Natürlich, sagt Schilliger, profitiere seine Firma, ja die ganze Bauwirtschaft indirekt von den Subventionen, welche die Energiestrategie 2050 für den Ausbau der erneuerbaren Energien bereithält: Es gibt mehr Aufträge. Im Sinne einer Anschubhilfe bis Ende 2022, wie es die Energiestrategie ursprünglich vorsah, hat Schilliger die Subventionen unterstützt. «Mit Dollarzeichen in den Augen hat das nichts zu tun.» Seine Firma sei Heizungsspezialistin und baue keine Fotovoltaikanlagen. Doch nun bleibt der Geldhahn weiter offen, bis mindestens 2030. Das Parlament hat die Subventionen verlängert.
Schilliger ärgert das. Linke Parlamentarier werfen Freisinnigen wie ihm nun vor, mit der Aufhebung des Neubauverbots den Volkswillen zu torpedieren. «Dabei halten sie sich selber nicht an das, was das Stimmvolk 2017 beschlossen hat.» Ihm könne niemand vorwerfen, die Energiewende zu bremsen, sagt er. Sein Beweis: Er hat bereits vor neun Jahren sein Haus im luzernischen Udligenswil so modernisiert, dass es deutlich mehr Energie erzeugt als verbraucht, den überschüssigen Strom speist er ins lokale Stromnetz.
Schilliger ist von seiner Mission überzeugt: Die FDP werde dank ihrer Technologieoffenheit für Kernkraftwerke der neuen Generation an Profil gewinnen. Angst, FDP-Wähler an die Grünliberalen zu verlieren, hat er nicht. «Wahre Liberale können Verbote nicht gutheissen.» GLP-Präsident Jürg Grossen sieht das anders. «Ein Verbot für die heute verfügbare Atomtechnologie ist aufgrund der Risiken durchaus mit dem liberalen Gedankengut vereinbar.» Mit «Risiken» meint Grossen nicht nur die Gefahr eines Atomunfalls und das Problem, die Abfälle sicher zu lagern. Der Betrieb der Meiler: nicht wirtschaftlich. Die Meiler selber: wegen ungeplanter Ausfälle ein Klumpenrisiko für die Stromversorgung.
Er nennt eine Zahl: 2040
Schilliger kennt die Argumente. Er hält sie für ein Ablenkungsmanöver, weil sie auf die aktuelle Generation der Kernkraftwerke zielen. «Das Abfallproblem müssen wir ohnehin lösen.» Und weiter: «Niemand will jetzt ein Kernkraftwerk in der Schweiz bauen.» Nicht jetzt vielleicht, aber schon eher als vermutet. Schilliger nennt eine Zahl: 2040. Er will die Option offenhalten, Kernkraftwerke der neuen Generation ab dann einzusetzen, um definitiv von den fossilen Energien wegzukommen. Dafür braucht es seiner Ansicht nach aber «neuen Schub», auch für die Erforschung der Nukleartechniken. Seit dem Volksentscheid 2017 liegt deren Schwerpunkt auf dem sicheren Langzeitbetrieb bestehender Kernkraftwerke und der Entsorgung der radioaktiven Abfälle.
Bis in fünf Jahren soll die Schweizer Politik einen neuen Plan für die Kernkraft erarbeitet haben. So schwebt es Schilliger vor. Damit bliebe aus seiner Sicht genügend Zeit für die Umsetzung. Das ist weit in die Zukunft geblickt. Zunächst muss die FDP ihre eigene Position bereinigen. Es liegen Gegenanträge vor. Nationalrat Matthias Jauslin etwa hält es für «zurzeit nicht opportun», das Neubauverbot aufzuheben. Montreux wartet – und eine Entscheidung.
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