
Für den Listenpreis von ein bis zwei Kampfflugzeugen des Typs F-35 hätte die Schweiz locker ein Exemplar des Transportflugzeugs A400M erwerben können. Dann wären wir bei der Evakuierung von 387 Landsleuten und afghanischen Ortskräften weniger von der deutschen Bundeswehr oder den amerikanischen Streitkräften abhängig gewesen. Souveränität hört dort auf, wo Abhängigkeit von anderen anfängt.
In der Diskussion um das gescheiterte Rahmenabkommen hat Souveränität bekanntlich eine zentrale Rolle gespielt. Nun, da es um eine der schwierigsten Rettungsaktionen der Schweizer Geschichte ging, erstaunlicherweise nicht. Dabei hat selbst das kleine Luxemburg jetzt erstmals seinen Airbus A400M eingesetzt, einst als Teil einer gemeinsam mit Belgien aufgebauten Lufttransporteinheit von insgesamt acht Maschinen erworben.
Klar, Luxemburg ist Mitglied der Nato. Das Grossherzogtum hat aber neben dem jetzt sehr nützlichen Transportflugzeug keine nennenswerte Armee. Und selbstverständlich, die Schweiz ist ebenso wie Luxemburg im Drama um Afghanistan kein wirklicher Player. Wir haben unsere vier in Kabul stationierten Stabsoffiziere schon 2008 abgezogen. Kein Wunder, dass uns der Kollaps der afghanischen Regierung ebenso überrascht hat wie die anderen westlichen Staaten.
Die Schweiz hat als Land mittendrin von der Versicherungspolice der Nato immer mitprofitiert.
Für die steht selbstverständlich kurzfristig einiges mehr auf dem Spiel. Wobei auch für uns der Satz eines früheren deutschen Verteidigungsministers unverändert gilt: Europas Sicherheit entscheidet sich heute nicht unbedingt an nationalen Grenzen, sondern oft in Unruhegebieten in der Nachbarschaft, wie etwa am Hindukusch. Der Kollaps in Afghanistan sollte uns auch in der Schweiz Sorgen machen.
Die Schweiz hat als Land mittendrin von der Versicherungspolice der Nato immer mitprofitiert. Jetzt ist diese Police in Gefahr und das Desaster in Afghanistan eine existenzielle Bedrohung für das Bündnis. Die Nato sieht sich nach eigener Darstellung als mächtigste Allianz der Welt. Nun steht die Nato blamiert da. Das Ungleichgewicht der militärischen Fähigkeiten im Bündnis ist unübersehbar. Joe Biden ist zwar freundlicher im Umgang als Vorgänger Donald Trump. Der US-Präsident nimmt aber nicht viel mehr Rücksicht auf die europäischen Verbündeten.
Europäer nicht konsultiert
Die Europäer wurden schon beim Abzugstermin nicht konsultiert. Biden hat das Ende der Mission einseitig festgelegt. Ohne die US-Streitkräfte geht aber gar nichts. So war es nie eine Option, dass die Europäer länger bleiben und den afghanischen Streitkräften die nötige Luftunterstützung gewähren. Die Europäer sehen sich nicht einmal in der Lage, den Flughafen von Kabul allein zu sichern, um die Evakuierung zu Ende zu bringen.
Das ist auch eine Offenbarung für Ursula von der Leyen, einst als Präsidentin für eine geopolitische Kommission angetreten. In Brüssel wird viel über «strategische Autonomie» gesprochen. Das Konzept ist eine leere Hülle geblieben. Einen Versuch für einen Staatsaufbau wie in Afghanistan wird es zwar nicht so schnell wieder geben. Europa wird sich aber in Zukunft mehr um seine eigene Sicherheit kümmern, sich selber gegen Terrorgefahr in seiner Nachbarschaft schützen müssen und dabei nur noch beschränkt auf die USA setzen können.
Angst vor «Flüchtlingswelle»
Diesen Dienstag kommen in Brüssel die Innenminister der EU- und Schengenstaaten zusammen. Justizministerin Karin Keller-Sutter wird bei dem Sondertreffen auch dabei sein. Es wird darum gehen, wie Europa auf die Migrationswelle aus Afghanistan reagiert. Die «Flüchtlingswelle» von 2015 dürfe sich nicht wiederholen, heisst es schon. Grenzen dichtmachen können die Europäer inzwischen ganz gut, nicht immer im Einklang mit den eigenen Prinzipien. Abschotten wird als Antwort aber ohnehin nicht reichen.
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Analyse zur Rolle in Afghanistan – Der Kollaps in Afghanistan sollte auch der Schweiz Sorgen machen
Die EU-Staaten waren bei der Evakuierung ihrer Landsleute aus Kabul von den US-Streitkräften abhängig, die Schweiz von der deutschen Bundeswehr. Das Drama in Afghanistan macht Europas Ohnmacht deutlich.