Sportchef Larry MitchellDer Soldatensohn rekrutiert in Kloten
Larry Mitchell stürmte und coachte drei Jahrzehnte lang im deutschen Eishockey. Im Zürcher Unterland steht der 55-Jährige nun vor einer heiklen Mission.

Larry Mitchell lernte früh, klare Regeln zu befolgen. «Mein Vater brachte mir Disziplin und Respekt bei», sagt der Mann, der seit dem 1. November als Sportchef des EHC Kloten agiert. Es ist sein erster Job ausserhalb Deutschlands, und die Erinnerung an seine Jugend begleitet ihn ins Zürcher Unterland. Mitchells Vater war kanadischer Berufssoldat, geprägt von den 1960er-Jahren, als er unter anderem auf dem deutschen Militärstützpunkt Lahr stationiert war. «Meine Mutter war allerdings strenger», hält Mitchell fest.
Disziplin hatte der junge Kanadier auch nötig, denn sein Werdegang war voller Kurven und Ortswechsel. Zunächst aufgewachsen in Zweibrücken, kehrte er im Kindergartenalter mit seiner Familie nach Kanada zurück. Dort eiferte Mitchell auf dem Eis seinem Vater und seinem älteren Bruder nach. «Berufssoldat wollte ich nie werden, sondern Eishockeyprofi», erzählt der Deutsch-Kanadier. Obwohl er in Kanadas besten Juniorenligen zu den Topskorern zählte, blieb ihm eine NHL-Karriere verwehrt. «Ich erhielt zwar drei Try-out-Angebote, wollte aber nicht der Lückenfüller sein und blieb da stur.» Mit 21 zog es ihn zurück nach Europa.
Hattrick und zwei verlorene Zähne
Ein deutscher Zweitliga-Club wollte ihn verpflichten, der Dinslakener EC aber bezahlte mehr, ein drittklassiger Oberligist aus der nordrhein-westfälischen Provinz. «Ich wusste nichts über die Ligen in Europa, heute würde ich mich anders entscheiden», sagt Mitchell. Ein Jahr wollte er ursprünglich bleiben, danach nochmals einen NHL-Versuch starten oder in Kanada studieren. Doch es kam alles anders, denn Mitchell schlug mit seinen Skorerqualitäten ein. «In meinem ersten Testspiel als Profi schoss ich drei Tore und verlor zwei Zähne», erinnert er sich zurück.
Als Stürmer entwickelte er sich zum Leistungsträger und spielte bis 2002 für zehn Clubs, mit Ausnahme von einigen DEL-Partien in der zweithöchsten Liga. Mit 29 Jahren verhalf er Wedemark zum Aufstieg in die DEL und wurde zum Spieler des Jahres gewählt – «mein Karrierehöhepunkt», erinnert sich Mitchell darum ans Jahr 1996.
Die späte Erkenntnis
Neun Jahre später startete er seine Trainerkarriere – erneut in der dritten Liga, erneut musste er sich nach oben arbeiten. Und erneut tat er das mit Erfolg: Bereits in seiner ersten Saison (2005/06) führte er den EV Landsberg in die 2. Bundesliga. «Als Aufsteiger waren wir auf Rang 19 eingestuft worden», so Mitchell. Keine zwei Jahre später wechselte er zu Augsburg in die DEL, 2010 wurde er mit den Panthers Vizemeister, sein grösster Erfolg an der Bande. «Wir hatten das tiefste Budget der Liga, aber einen enormen Teamzusammenhalt.» Mitchell holte das Maximum aus seiner Mannschaft heraus, einmal mehr. «Erst später erkannte ich, was wir da erreicht hatten – denn für mich als Kanadier waren wir zuerst einfach die Finalverlierer.»
«Hier wird viel schneller und weniger körperbetont gespielt.»
Sieben Jahre lang coachte er Augsburg, von 2014 bis 2017 dann Straubing, ehe Ingolstadt ihn als Sportdirektor engagierte. Nach der vergangenen Saison und dem Out in der ersten Playoff-Runde wurde er freigestellt. Mitchell machte sich in der Eishockeyszene auch einen Namen als Spielerscout für den nordamerikanischen Markt. Darum war ihm die National League nicht fremd. Dennoch gab es für ihn einige Überraschungen, nachdem er in der höchsten Schweizer Liga angeheuert hatte. Etwa «wie viel schneller und weniger körperbetont hier gespielt wird» oder «wie professionell die Liga ist».
Die Dialekthürde und das eigene Bett
In Kloten erfuhr der Deutsch-Kanadier viel Unterstützung. «Alle erleichterten mir den Einstieg», betont er. Die Veränderung kam für ihn zum richtigen Zeitpunkt. «Mit 55 die Chance zu erhalten, etwas Neues anzupacken, das macht viel Spass.» Noch gewöhnungsbedürftig ist für ihn das Schweizerdeutsch. «Aber es wird besser, je nach Dialekt verstehe ich 70 bis 80 Prozent», meint er lachend.
«Angenehm anders ist auch, dass man immer in seinem eigenen Bett schlafen kann – wenn man will», fügt Mitchell augenzwinkernd an. Das komme Spielern mit Familie entgegen. «Dem Team bleibt mehr Zeit zur Regeneration, was die Leistung aller positiv beeinflusst.» Diese Vorteile hebt der Vater eines Sohnes (23) und einer Tochter (21) in Gesprächen mit ausländischen Spielern hervor.
Die Kaderplanung für nächste Saison
Solche führt Larry Mitchell für die EHC-Kaderplanung der nächsten Saison derzeit oft. Natürlich auch mit Spielern, deren Verträge auslaufen. Ein Schlüsselspieler wurde am Freitag gebunden. Der finnische Goalie Juha Metsola bleibt für eine weitere Saison am Schluefweg. Auch mit Torhüter Sandro Zurkirchen wurde der Kontrakt bis Sommer 2024 verlängert. Und wie steht es um Arttu Ruotsalainen, den zweitbesten Torschützen des Teams? Da lässt sich Mitchell nicht in die Karten blicken. «Wir werden sehen, wohin seine Reise geht», antwortet er lediglich.
Dasselbe gilt für David Reinbacher, dem NHL-Scouts nachjagen. «Viele kenne ich, und nun bin ich auf ihrer Kontaktliste nach oben gerutscht – früher war es umgekehrt», schmunzelt der EHC-Sportchef, der als Talententdecker gilt. Er sähe den 18-Jährigen trotz dem fast sicheren Draft gerne nächste Saison noch in Kloten verteidigen. «Für seine Entwicklung wäre das sicher gut.» Am Schluefweg könnte der Österreicher weiterhin eine Schlüsselrolle einnehmen.
Die Suche nach Tomlinsons Nachfolger
Die wichtigste Personalie ist allerdings jene von Jeff Tomlinson. Der Erfolgstrainer, der den EHC zurück in die höchste Liga geführt hat, tritt per Saisonende aus gesundheitlichen Gründen kürzer. Mitchell stand ihm einst in Deutschland an der Bande gegenüber. «Wir erlebten einige heisse Begegnungen.» Sein Landsmann habe eine besondere Begabung, Spieler zu motivieren. «Ich kenne keinen Coach, der das besser kann», sagt der EHC-Sportchef.

Nun steht er vor der anspruchsvollen Aufgabe, gemeinsam mit Geschäftsführer Anjo Urner einen geeigneten Nachfolger zu finden. Einen Coach, der akzeptiert, dass Tomlinson ihm beratend zur Seite steht. Einen, der ähnlich wie Tomlinson tickt, dessen Philosophie teilt und den eingeschlagenen Weg in Kloten fortführt. Das erschwert die Suche zweifelsohne. «Es ist eine aussergewöhnliche Situation», gesteht Mitchell ein. Umso mehr wollen sie sich in Kloten Zeit mit der Auswahl lassen.
Eine Handvoll Kandidaten sind noch im Rennen. «Sehr interessante», ergänzt Mitchell. Er führte unter anderem Gespräche mit GCK-Coach Michael Liniger und dem Amerikaner Matt McIlvane, der den österreichischen Meister Salzburg coacht. Letzterer ist inzwischen aber bereits kein Thema mehr. Stellt sich noch die Frage: Wie viel Mitspracherecht haben Clubpräsident Mike Schälchli und weitere Verwaltungsratsmitglieder? «Bevor eine Entscheidung getroffen wird, werden auch sie mit ins Boot genommen», antwortet Mitchell. Auch hierzu kommuniziert er direkt und ehrlich – so, wie es ihm seine Eltern mit auf den Weg gegeben haben.
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