Sweet Home: Patina, Wabi-Sabi und LaubDie Schönheit des Unperfekten
Der Herbst ist die Jahreszeit, die uns an die Vergänglichkeit erinnert. Diese Beispiele zeigen, wie Sie diesen Balsam für die Seele heimbringen.

François Halard, der als einer der bedeutendsten Interiorfotografen der Welt in den schönsten und bedeutendsten Häusern und Ateliers der Welt fotografierte, erklärte mir einmal, dass seine Interiorfotografien Porträtaufnahmen sind, welche die Geschichte und Persönlichkeit der Bewohner erzählen – ohne, dass sie auf den Bildern sind.
Er selbst wohnt in einem alten Anwesen in Arles voller Kunst, Antiquitäten und Schönheit. Während des Lockdowns, der in Frankreich ziemlich rigoros war und lange dauerte, machte er Polaroids von seinem Zuhause und postete die Bilder auf seinem Instagramaccount. Diese Bilder vergrösserten die klein gewordene Welt und erzählten grossartige, dichte Geschichten. Die Sammlung dieser Bilder ist mittlerweile auch in Buchform erschienen: 56 Days in Arles, François Halard
Sie liessen mich darüber nachdenken, wie das wohl ist, wenn man perfekt lebt, mit lauter neuen Möbeln, ohne Kunst, ohne Bücher, alles immer aufgeräumt und eben, perfekt. Denn letztlich sind es doch die unperfekten Dinge, die echte Schönheit ausstrahlen und es lohnt sich, diesen mehr Aufmerksamkeit und Platz zu geben.

Natürlich wohnen die meisten von uns nicht in alten Anwesen mit Erbstücken und Geschichte, aber wir alle kreieren mit unserer Einrichtung und den Dingen, die wir dafür auswählen, unsere eigene Geschichte und eine eigene Welt. Das geht im Kleinen genauso gut wie im Grossen. Schönheit ist überall, man muss sie nur sehen. Und öfters steckt sie in Dingen, die nicht in Massen produziert werden und als begehrenswert vermarktet werden. Materialien, Texturen, Handwerk, Patina, das alles trägt dazu bei, dass echte Schönheit entsteht. Auch die Kombination von Unterschiedlichem hilft jedem einzelnen Stück im Haus.

Irgendwo habe ich einmal gelesen, wie man es schafft, neuen Tontöpfen für Pflanzen schnell Patina zu geben. Offenbar muss man sie mit Joghurt einreiben und ein paar Tage draussen lassen. Ich habe es nie probiert und finde, dass natürliche Patina immer die schönste ist. Das gilt auch für Objekte, die Sprünge haben oder ein wenig angeschlagen sind. Das alles sind Zeichen von echtem Leben und Nachhaltigkeit. Behält man seine Dinge nämlich eine lange Zeit, gehören Sie viel stärker zu uns und werden uns lieber und wertvoller.
«There is a crack in everything, that's how the light gets in»

Auch bei Kunstwelten, wie etwa bei gestylten und inszenierten Werbefotos, hilft Patina. Denn es ist das Alte und Gelebte, das etwas Neuem mehr Bedeutung und Wert verleiht. Bei meiner Arbeit als Stylistin für Möbelkataloge liessen wir oft Wände streichen und wünschten uns, dass sie so aussehen, wie diese Wand, die ich kürzlich in einem uralten Haus fotografierte. Niemand hat das richtig geschafft, denn es ist eine grosse Kunst, Altes zu kreieren. So lohnt es sich, echten alten Dingen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und neue Dinge richtig zu gebrauchen. Denn die Angst davor, dass etwas auf einmal nicht mehr neu und perfekt aussieht, hindert uns oftmals daran, entspannt damit zu wohnen.

Umgekehrt verleiht eine schöne und ruhige Umgebung alten Dingen noch mehr Eleganz und Stil. Farben, die mit ihrer Dichte und natürlichen Schönheit genau das schaffen, kreiert Atelier Ellis. Diese Farbe hier heisst Faded Blossoms und schon der Name erzählt eine Geschichte.

In Japan hat die Schönheit des Unperfekten nicht nur einen Namen, sondern eine ganze Philosophie: Wabi-Sabi. Dieses ästhetische Konzept wird auch im Westen immer öfter umgesetzt. Sehr gekonnt, da auch natürlich gewachsen und mit Liebe gepflegt, ist das im Gutshaus Rensow in Mecklenburg Vorpommern vor allem in der alten Schule eingesetzt. Sowohl Schule als auch Gutshaus werden als Gästehäuser angeboten und bestechen durch betörende Schönheit – nicht zuletzt weil die Hausbesitzer so ehrfurchts- und stilvoll mit den Spuren der Vergangenheit umgegangen sind.

Am schönsten drückt wohl die Flicktechnik Kintsugi die Philosophie von Wabi-Sabi aus. Statt eine zerbrochene Keramikschale einfach wegzuwerfen, wird sie mit Liebe, grosser Handwerkskunst und Gold geflickt. So steckt noch mehr Kunst in einem Gebrauchsobjekt.

Ein wenig Wabi-Sabi und viel persönlicher Stil zeigt das Zuhause von Lisa Mettier, das wir für eine Homestory besuchten. Die Grafikerin und Kreativallrounderin Lisa Mettier hat einer alten Villenwohnung mit einem elegant entspannten Einrichtungsstil sehr viel Persönlichkeit verliehen. Viele ihrer Möbel und Accessoires hat sie gebraucht gefunden – also in sogenannter Vintage-Qualität. Mit viel Nachhaltigkeit kombiniert Sie auch beim Styling Gelebtes und Neues. So kreiert Sie zum Beispiel grosse Blumensträusse, indem Sie getrocknete Pflanzen mit einigen frischen Einzelstücken ergänzt – wodurch die Schönheit länger erhalten bleibt.

Wie gut sich Gebrauchtes, Rustikales und Unperfektes mit dem modernen Leben vereinbaren lassen, zeigt dieser charmante Arbeitsplatz. Selbst wenn hier ein formschöner, sehr moderner Bürostuhl steht, strahlt dieser Ort viel Wärme aus, lässt Kreativität zu und erzählt eine Geschichte.

Öffnen Sie also Ihren Kopf und Ihre Seele dem Unperfekten. Es tut beidem und auch Ihrer Wohnung gut – wie auch ein paar goldene Herbstblätter, die der Wind in die Wohnung trägt.
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