Diese Pilze könnten eine natürliche Alternative zu Plastik sein
Ob Stoffe, Stühle oder gar Backsteine – ein Start-up in San Francisco lässt neuartige Materialien aus Pilzfäden wachsen.

Auf den ersten Blick haben die weissen Geflechte aus Pilzfäden, die ein bisschen an explodierte Watte erinnern, nichts Besonderes. Sie spriessen an Bäumen im Wald ebenso wie auf Kaffeesatz oder alten Wurstbroten. Doch für Philip Ross, Mitgründer des Start-ups Mycoworks aus San Francisco, sind Myzelien, wie Biologen sie nennen, so etwas wie die Eier legende Wollmilchsau im Reich nachhaltiger Materialien.
Er hat sie schon zu robusten Backsteinen wachsen lassen, zu rustikalen Stühlen und zu lederartigen Stoffen. Das tierfreie Naturleder soll zum Kernprodukt des jungen Unternehmens werden und in ein paar Jahren in grösseren Mengen zu kaufen sein.
«Unser Leder fühlt sich weich an, ist dehnbar und wasserfest», sagt Ross. Gefertigt wird es von Pilzen, die bisher vor allem in der traditionellen chinesischen Medizin zum Einsatz kommen. Die Jungunternehmer geben lediglich biologische Abfälle hinzu, etwa Sägemehl oder Reste von Reis- oder Maisernten.
Schnell umwachsen Pilzfäden die Abfallkrümel, denn sie brauchen die enthaltenen Stärken und Zucker zum Leben. Dabei sondern sie Enzyme ab, die die komplexen Kohlenstoffverbindungen leichter verdaulich machen, und wachsen kreuz und quer zu einem festen Gewebe. In nur zwei Wochen entsteht so ein kuhhautgrosses Stück Pilzleder. «Das ist nicht nur schnell, sondern auch umweltfreundlich», betont Ross. Für eine Tierhaut müsse ein Rind erst einmal zwei Jahre wachsen und verbrauche dabei eine Menge Ressourcen.
Pilzleder auch in Grossformat
Hat das Leder die gewünschte Stärke, wird es im Ofen getrocknet. Dann stoppt der Wachstumsprozess. Das Pilzleder lässt sich Ross zufolge zu beliebig grossen Flächen mit den unterschiedlichsten Oberflächenstrukturen züchten und kann problemlos geformt, gefärbt und genäht werden. «Man braucht dazu keine aufwendige Technik. Die Eigenschaften lassen sich allein über die Art der Nährstoffe und Wachstumsbedingungen wie Temperatur, Feuchtigkeit, Licht oder Belüftung einstellen», so der Unternehmer.

Myzelien sind eine Art natürliches Pendant zu Kunststoffen aus fossilen Polymeren. Sie bestehen aus einer Mischung sogenannter Biopolymere, darunter Zellulose, Chitin und Proteine. Dass ihre chemischen und mechanischen Eigenschaften durch das Nährstoffangebot einstellbar sind, zeigt auch eine Studie von Wissenschaftlern des italienischen Forschungsinstituts Istituto Italiano di Tecnologia in Genua, die im vergangenen Jahr im Fachblatt «Scientific Reports» veröffentlicht wurde. Danach produzieren die Materialien aus Myzelien umso mehr Chitin und werden umso fester, je schwerer verdaulich die angebotene Kost war.
Zwar sorgen Produkte aus Myzelien bisher vor allem in der Kunstszene für Aufmerksamkeit. Zum Beispiel die Moonboots, die der italienische Künstler Maurizio Montalti kürzlich im Museum of Modern Art (Moma) präsentierte. Auch ein turmartiges Gebäude aus Pilzbausteinen war dort schon zu sehen. Gleichwohl sind bereits erste Produktionsanlagen in Betrieb.
Verpackungen im Test
Ein Pionier ist das New Yorker Unternehmen Ecovative, das unter anderem die Steine für den Moma-Turm lieferte und heute vor allem Verpackungen aus Pilzen herstellt, zum Beispiel für den Computerhersteller Dell, aber auch für Ikea, wo sie allerdings bisher immer noch in der Testphase sind. Wann diese voraussichtlich beendet sein wird, verrät der Möbelhersteller nicht. Auch die italienische Pilzmanufaktur Mogu am Lago di Varese, an der Montalti beteiligt ist, betreibt eine eigene Anlage, ebenso das indonesische Start-up Mycotech, das vor allem Baumaterialien produziert.
Dirk Hebel, Architekturprofessor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), arbeitet mit Mycotech zusammen und sieht gerade in der Baubranche viel Potenzial für die pilzgeborenen Materialien. «Diese nachwachsenden Rohstoffe sind praktisch überall in grossen Mengen verfügbar», sagt er. Erst kürzlich hat er gemeinsam mit seinen Fachkollegen Werner Sobek und Felix Heisel an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in Dübendorf das Wohnlabor der Nest-Unit «Urban Mining & Recycling» eingeweiht.
Es besitzt unter anderem wärmedämmende Unterputzplatten aus Myzelien. An einer Stelle haben die Forscher den Lehmputz allerdings offen gelassen. «So können wir beobachten, wie sich die Platte über die Zeit verändert, zum Beispiel wie sie auf unterschiedliche Temperatur- und Luftfeuchtigkeitswerte oder UV-Licht reagiert», erklärt Hebel.
Abfälle nutzen
Die KIT-Forscher arbeiten vorwiegend mit sogenannten weiss verfaulenden Pilzen, wie sie etwa auf toten Baumstümpfen im Wald wachsen. Sie bestellen die Pilzsporen im Internet und mischen sie mit verschiedenen biologischen Abfällen. «Sägespäne ergeben eher luftige Materialien mit guten isolierenden Eigenschaften, und faserige Abfälle aus der Lebensmittelindustrie, zum Beispiel Hülsen oder Schalen, dichtere Strukturen, die viel Druck aushalten und als konstruktive Baumaterialien zum Einsatz kommen können», berichtet der Architekt. Andere Pilzprodukte wiederum können besonders gut Zugkräfte aufnehmen, wie Stahl in Beton. «Der Inspiration sind keine Grenzen gesetzt», sagt Hebel, dessen Team auch mit Austern- und Kombuchapilzen experimentiert.
Die glibberig-braunen Kombuchakulturen, eine Mischung verschiedener Hefepilze, sind vielen vermutlich als Grundlage für ein Erfrischungsgetränk bekannt. Sie können aber auch zu einem schweinslederartigen, sehr dehnbaren und leicht transparenten Stoff wachsen. Wie das selbst in einer Küchenschüssel oder in der Badewanne gelingt, berichtete die Modedesignerin Suzanne Lee schon 2011 in einem TED-Vortrag. Einzige Zutaten: eine Pilzkultur, grüner Tee, Essig und viel Zucker.
Trotz aller Vorteile und der einfachen Herstellung sind Leder, Verpackungen oder Baustoffe aus Pilzen allerdings noch eine eher teure Nischenware. «Der Markt steckt aber auch gerade erst in den Anfängen», erklärt Hebel. Er sei jedenfalls optimistisch, dass die Pilzprodukte immer mehr Anhänger finden werden. Schliesslich könnten sie wie andere «grüne Materialien» helfen, den weltweit steigenden Bedarf an Baustoffen zu decken. In vielen Ländern wird zum Beispiel der Sand für Betonmischungen knapp, selbst in hiesigen Kiesgruben gibt es schon Engpässe. «Weitermachen wie bisher ist einfach keine Option», sagt der Architekt.
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