Best of: Von Kopf bis Fuss – So gesund ist WeinEin Gläschen in Ehren …
Silvia Aeschbach hat die häufig gelobte Heilkraft des fermentierten Getränks hinterfragt – mit ernüchterndem Ergebnis.
Unsere Bloggerin geniesst einige Ferientage. Daher publizieren wir heute diesen Beitrag vom 25. August 2021, der besonders viel zu reden gab.

Fermentierte Lebensmittel sind gut für unsere Gesundheit. Unter anderem stärken sie unser Immunsystem. Über die gesunde Wirkung von Kimchi, Joghurt und Sauerkraut habe ich kürzlich in diesem Beitrag (sh. auch Box) geschrieben. Dabei erwähnte ich, dass auch Wein ein fermentiertes Produkt sei. Schon öfter habe ich gelesen, dass vor allem Rotwein, jedenfalls massvoll genossen, ebenfalls durchaus positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben könne. Auf der Suche nach Studien, die das belegen, bin ich auf unzählige Publikationen zum Thema gestossen, die sich zum Teil widersprechen.
Auslöser für den regelrechten Studienboom zum Thema Wein und Gesundheit in den letzten Jahrzehnten war das sogenannte französische Paradoxon. Es handelt sich dabei um ein Phänomen, das schon im 19. Jahrhundert von einem irischen Arzt beobachtet wurde, aber erst seit den Achtzigerjahren so genannt wird. Damals wurde bei Vergleichen der Lebenserwartung in verschiedenen Ländern festgestellt, dass die Franzosen älter werden als die Bewohner anderer grosser Industrienationen wie etwa der USA oder Deutschlands. Dies, und das soll eben das Paradoxe daran sein, obwohl die klassische französische Küche relativ fettig ist und die Franzosen zum Essen meist schon am Mittag Wein trinken. Herzinfarkte seien in Frankreich viel seltener als etwa in den USA, hiess es. Dass das wirklich so ist, wird von Medizinern angezweifelt.
Länger leben dank Wein?
Aber warum werden die Franzosen trotz eines Lebenswandels, der Ärzte in anderen Ländern mindestens kritisch die Stirne runzeln lässt, älter? Es könne nur am Wein liegen, der neben dem eher giftigen Alkohol auch bekömmliche Inhaltsstoffe aufweise, war schon bald die gängige Meinung dazu. Begeistert stürzten sich Forscher in aller Welt auf dieses Thema. Vielleicht auch, um den eigenen Weinkonsum zu legitimieren.
Man wusste bereits, dass Resveratrol, ein sogenanntes Polyphenol, das in den Schalen von roten beziehungsweise blauen Trauben steckt, höchst gesund ist. Dieser sekundäre Pflanzenstoff soll nicht nur einer Verengung der Blutgefässe entgegenwirken, sondern generell zu einem längeren Leben beitragen. Da Resveratrol in Alkohol besonders gut löslich ist, ist seine Konzentration in Rotwein viel höher als etwa in Traubensaft.

Gesundes Resveratol: Das in den Traubenschalen enthaltene Polyphenol ist gesund und in Alkohol besonders gut löslich.
Die positive Wirkung von Rotwein auf die Herzgefässe wurde in verschiedenen Studien aufgezeigt. Vor 20 Jahren stellte Roger Corder von der Queen Mary University in London in einer Studie fest: «Unsere Befunde lassen darauf schliessen, dass bereits ein mässiger Konsum von Rotwein Erkrankungen der Herzgefässe verhindern kann.» An Blutgefässkulturen im Labor untersuchten die Forscher die Wirkung von 23 verschiedenen Rotweinextrakten auf den Eiweissstoff, der bewirkt, dass sich die Blutgefässe zusammenziehen. In einer weiteren Studie von 2006 kam Corder zum Schluss, dass die Konzentration von «gefässaktiven Polyphenolen» in «Weinen aus Südwestfrankreich und Sardinien in höheren Konzentrationen vorhanden sind, da dort traditionelle Produktionsmethoden dafür sorgen, dass diese Verbindungen bei der Weinbereitung effizient extrahiert werden».
Eine Meta-Analyse von 84 Studien, die 2011 an der kanadischen University of Calgary durchgeführt wurde, kam zum Schluss, dass bei Menschen mit einem leichten bis moderaten Alkoholkonsum Herzkreislaufkrankheiten um ein Viertel weniger häufig sind als bei Personen, die keinen Alkohol trinken. Das könne zum Teil aber auch daran liegen, dass Alkohol das Blut verdünnt und das «gute» HDL-Cholesterin erhöht, wodurch das Risiko für Gerinnsel sinkt.
Wie viel Wein darfs sein?
Wie viel Wein soll es denn aber sein, damit er eine gesunde Wirkung hat? Oft wird ein Glas pro Tag genannt. 1 Deziliter Wein enthält rund 10 Gramm reinen Alkohol. Wer also täglich ein Glas mit etwa anderthalb Deziliter Wein trinkt, konsumiert damit bereits etwas mehr als 100 Gramm reinen Alkohol pro Woche. Das ist zwar weniger, als in den meisten Ländern aus gesundheitlicher Sicht als tolerierbare Menge betrachtet wird. Doch es gibt zahlreiche Studien, die eine solche Menge schon als gesundheitsschädlich einstufen.
In einer 2018 veröffentlichten Meta-Analyse von 83 Studien aus 19 entwickelten Ländern konnte auf Daten von fast 600'000 Probanden zurückgegriffen werden. Und diese zeigten, dass sich bei mehr als 100 Gramm Alkohol pro Woche die Lebenserwartung verkürzt. Wer mehr trinke, habe ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall, Herzschwäche, Bluthochdruck und Aorten-Aneurysmen. Die Schlussfolgerung: Die Grenzwerte für Alkohol sollten eigentlich niedriger sein, als sie in den meisten aktuellen Leitlinien angegeben werden.

Auch in einer Studie von 2020 warnten Forscher, dass bereits ein alkoholisches Getränk am Tag schaden könne. Sie zeigten auf, dass im selben Jahr über 740’000 neue Krebsfälle auf Alkohol zurückzuführen
waren. Dabei war in jedem siebten Fall nicht starkes Trinkverhalten oder regelmässiges «Komasaufen» schuld, sondern ein mässiger Konsum von maximal zwei Drinks am Tag.
Studien wie diese neueren zeigen auf, dass Trinken immer mit einem Risiko verbunden ist. Kritiker der Studien, die Rotwein für gesund erklären, weisen denn auch immer wieder darauf hin, dass solche Forschungen gerne von Universitäten in Weinregionen durchgeführt werden. Also dort, wo man eine Nähe zu Branche hat und die Weinproduktion ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Es gebe auch Studien, die von der Weinwirtschaft finanziert oder in Auftrag gegeben worden seien.
Das eigentliche Dilemma bei der Frage, wie gesund Rotwein wirklich ist, liegt bei der Dosierung. Mehr als ein Glas Wein pro Tag sollte man nicht trinken, wenn der Genuss noch gesund sein soll. Zudem raten Ärzte zu
einer Alkoholpause von mindestens zwei Tagen pro Woche, damit sich der Körper erholen kann. Ein Deziliter Rotwein enthält gerade mal etwa 1,5 Milligramm des gesunden Resveratrols. Diese Menge reicht aber sicher nicht aus, um Gefässverengungen zu verhindern. Sogar das dem Weingenuss gewidmete Portal weinkenner.de muss da ernüchtert feststellen: «Der Mensch müsste rund 20 Flaschen Rotwein täglich trinken, um gegen Herzinfarkt geschützt zu sein.»
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