
Europa und Amerika sind Partner. Freunde gar. In politischer und wirtschaftlicher Hinsicht art- und wesensverwandt – «natürliche Verbündete», wie Diplomaten es gerne ausdrücken. Oder?
Dafür, dass das so ist, wird in Brüssel derzeit ein Wort beunruhigend oft herumgereicht: «Handelskrieg». Es fällt, wenn darüber geredet wird, wie die EU auf das grosse Subventionspaket namens Inflation Reduction Act regieren soll, mit dem US-Präsident Joe Biden sein Land zu einer führenden Macht bei klimafreundlicher und grüner Technologie machen will.
Europa, so die Botschaft von Emmanuel Macron, darf sich nicht wegducken, wenn die Amerikaner zig Milliarden Dollar in die Hand nehmen und grüne Industrien und Zukunftstechnologien bei sich im Land – und zu Lasten europäischer Unternehmen – fördern. «Ich denke, jetzt müssen wir entschieden reagieren», sagte der französische Präsident beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. Ähnlich hatte sich zuvor schon EU-Ratspräsident Charles Michel geäussert. Die Amerikaner seien Freund, Verbündete, «unsere Brüder», sagte Michel. Aber es sei Europas Pflicht, seine Firmen und Bürger «zu schützen» und in dieser wirtschaftlich so schwierigen Zeit gegen Wettbewerbsnachteile zu verteidigen. Auch er verlangte eine «starke Antwort» Europas.
Völliger Irrsinn
Soll die EU mit Washington über Ausnahmen für europäische Unternehmen verhandeln? Soll sie einen eigenen Geldtopf schaffen, aus dem die heimische grüne Industrie gefördert wird? Oder soll sie amerikanischen Produkten und Firmen den Zugang zum europäischen Markt erschweren, als Vergeltung dafür, dass die USA Produkte und Firmen aus der EU diskriminieren? Das wäre dann der Handelskrieg.
Es wäre allerdings auch völliger Irrsinn. Nichts sähen die Diktaturen dieser Welt lieber, als wenn die Demokratien dieser Welt Zeit, Geld und Energie darauf verschwendeten, sich gegenseitig wehzutun. Russland, das einen echten Krieg gegen die Ukraine führt, und China, das Taiwan mit Krieg droht, würden jubeln.
Es mag ökonomische Gründe geben, die dagegen sprechen, bestimmte Technologien oder Industrien durch staatliche Beihilfen oder auch protektionistische Massnahmen vor Wettbewerbern zu schützen. Aber es gibt politische und gesellschaftliche Gründe, die dafür sprechen. Nichts hat zum Aufstieg des Trumpismus in den USA – und damit zur Bedrohung der amerikanischen Demokratie – so beigetragen wie die Deindustrialisierung weiter Teile des Landes. In Lehrbüchern mögen Globalisierung und Freihandel Dinge sein, bei denen unterm Strich alle immer gewinnen. Wer einmal im amerikanischen Rostgürtel unterwegs war, wo Wut, Verbitterung und Radikalismus herrschen, sieht, dass die Realität eine andere ist.
Joe Biden weiss das. Er versucht, ernsthaften Klimaschutz mit einer Industriepolitik zu verbinden, bei der gut bezahlte, qualifizierte, zukunftssichere Arbeitsplätze entstehen, nicht nur immer neue prekäre Teilzeitjobs in einem Amazon Fulfillment Center. Das kostet Geld, aber es ist politisch richtig.
Der US-Plan als Vorbild
Vielleicht sollten die Europäer sich den amerikanischen Plan zum Vorbild nehmen, anstatt ihn als Angriff zu verstehen. Es ist ja naiv zu glauben, der Übergang von fossiler zu erneuerbarer Energie und das Ende für klimaschädliche Technik wie den Verbrennungsmotor würden in der EU nicht zu sozialen Verwerfungen führen. Diese mit vielen Milliarden abzufedern ist die Aufgabe von Politik. Es ist auch der einzige Weg, um dem Klimaschutz gesellschaftlich auf Dauer zu Akzeptanz zu verhelfen. Wenn die EU-Kommission nun einen «Souveränitätsfonds» plant, um klimafreundliche Technologien in Europa zu fördern – nur zu. Das ist gut angelegtes Geld. Vielleicht sollte man sich aber einen weniger antiamerikanischen Namen dafür einfallen lassen. Denn wer weiss – womöglich schaffen es Amerikaner und Europäer ja sogar, gemeinsam in die grüne Zukunft zu gehen.
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Analyse zum EU-Gipfel – Ein Wort wird beunruhigend oft herumgereicht: «Handelskrieg»
Die USA fördern mit sehr viel Geld klimafreundliche Unternehmen. Aber nur, wenn sie aus dem eigenen Land stammen. Das macht die Europäer sehr nervös. Der EU-Gipfel ringt um eine «starke Antwort».