
Ich habe meine Identitätskrise überwunden. Seit fast einer Woche gehöre ich nun auch dazu. Lange habe ich mich schon so gefühlt, der Wandel von Wallisellen zu einer Stadt hat es nun aber offiziell bestätigt: Ich bin jetzt auch ein Stadtkind. 25 Jahre warten hat sich gelohnt, diese Bezeichnung lasse ich mir nicht mehr nehmen. Ich erinnere mich gut an die Zeit im Gymnasium, als ich von meinen Städter-Freundinnen als Dorfkind oder gar Landei bezeichnet wurde. Frustriert und erfolglos versuchte ich, sie mit Argumenten wie «Wir haben im Fall ein Tram und das Glattzentrum» davon zu überzeugen, dass ich auch eine von ihnen bin. Aber das ist ja jetzt Vergangenheit, denn seit letztem Freitag ist Wallisellen eine Stadt und ich folglich eine Städterin.
Das dreitägige Fest wurde gross angekündigt. Man hat Gesichter gesehen, die man längst vergessen hatte. Bei einigen freute man sich, sie wieder aktiv im Gedächtnis abzuspeichern, vereinzelt war es dann doch mehr ein Versteckspiel beider Parteien. Nichtsdestotrotz fand ich es schön, wie viele den Weg zurück nach Wallisellen gefunden haben, um in altbekannter Umgebung zu feiern. Gern habe ich auch zweimal sieben Franken ausgegeben, um ein paar Runden auf dem Riesenrad zu drehen. Zugegeben, der Ausblick war nicht weltbewegend, zudem konnte ich auch nur in den Osten schauen, weil die Sonne so blendete. Ich bereue aber keinen Rappen, da ich eine «Schiissfroid» hatte, zu Hause in einer Gondel eines Riesenrads zu sitzen.
Den Samstagabend verbrachte ich mit zahlreichen Wallisellerinnen und Wallisellern – so quasi Städterinnen und Städter – im Sportzentrum unter dem Dach des Eishockeyfelds. Gefeiert wurde aber nicht nur der Stadtwandel, sondern auch das 100-Jahr-Jubiläum des lokalen Fussballclubs. Bei lauter Musik wurde zigmal angestossen und wild getanzt. Der DJ erinnerte uns stets daran, wieso wir da waren: «Wallisellen, ihr seid jetzt eine Stadt», ertönte es aus den Lautsprechern.
Es folgte Jubel, dann das Jodellied «Seel ä chli la bambälä la». Hä? Je später der Abend, desto mehr fühlte ich mich wie an einem typischen Dorffest. Ich hatte schon Angst, dass der DJ den Stadtwandel mit seiner Liederwahl rückgängig machen würde und ich mich erneut mit meiner Identität auseinandersetzen müssen würde. Natürlich verstehe ich, dass der DJ ein breites Publikum ansprechen muss, ich hätte auch gar nicht an seiner Stelle sein wollen. Etwas irritiert war ich dennoch. Vielleicht denken sich nun einige, dass Wallisellen halt doch noch ein Dorf ist. Im Herzen sind wir das vielleicht auch, aber für diese Diskussion ist es zu früh. Zuerst soll die ganze Schweiz wissen, dass wir jetzt zu den Städten gehören.
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ZUgespitzt – Endlich bin ich ein Stadtkind
In der Rubrik «ZUgespitzt» greifen Redaktorinnen und Redaktoren Themen aus dem Unterländer Alltag auf.