Zum Tod von Martin AmisEr wollte provozieren
Der britische Romancier ist tot. Er war der Erfinder genüsslicher Karikaturen von versehrten, zynischen, im Abstieg befindlichen Gestalten.

In einer Besprechung von Diego Maradonas Autobiografie «El Diego» schrieb Martin Amis 2004 über den früheren Superstürmer: «In jedem dicken Mann, so sagt man, stecke ein dünner Mann, der versuche, herauszukommen. Im Fall von Maradona scheint es, als versuche ein noch dickerer Mann, hineinzukommen.» Ein typisches Amis-Bonmot: witzig, scharf beobachtet, unfreundlich. Es ist der Tonfall der «new unpleasantness», der Tonfall einer literarischen Londoner Elite, in deren innerstem Kreis Amis sich als Romancier bewegte und zu deren schillerndsten Figuren er gehörte.
Es spricht nicht nur für das Provokationspotenzial, sondern auch für die Qualität seines Werkes, dass Amis' Herkunft als Sohn des Erfolgsautors Kingsley Amis nie seine literarische Arbeit in den Schatten zu stellen vermochte. Ebenso wenig wie sein turbulentes Privatleben, das die britische Boulevardpresse jahrzehntelang genüsslich ausschlachtete.
Als er 1984 mit «Money» («Gierig») seinen endgültigen Durchbruch schaffte, hatte Amis sich mit seiner Agatha-Christie-Parodie «Dead Babies» und «Success», der Geschichte zweier streitender Stiefbrüder, bereits einen Ruf als bissiger Satiriker erarbeitet. «Money» aber, die Story von John Self, einem hedonistischen, dauerbesoffenen, pornografiebesessenen Werbespotregisseur, der in New York seinen ersten Film dreht, traf den Zeitgeist der Achtzigerjahre perfekt. Seine stereotypen Karikaturen versehrter, zynischer, im geradezu genüsslichen Abstieg befindlicher Gestalten wurden zu Martin Amis' Markenzeichen.
Der schwierige Vater
Kingsley Amis feuerte das Buch angeblich quer durchs Zimmer, nachdem er die Hälfte gelesen hatte. «Du brichst die Regeln, machst dich über den Leser lustig und ziehst die Aufmerksamkeit auf dich», befand Kingsley. Obwohl er stets eine tiefe Zuneigung zu ihm bekundete, empfand der Sohn dies wohl als Augenblick einer literarischen Emanzipation. Das gute Verhältnis zum Vater und die eigene Karriere waren keineswegs garantiert gewesen: 1949 in Oxford geboren, erlebten er und seine Geschwister Philip und Sally nicht nur die literarischen Erfolge von Kingsley Amis als bestimmend für ihre Kindheit, sondern auch Kingsleys zahlreiche Affären und die Spannungen mit der Mutter Hilary.
Die Unstetigkeit seines eigenen Liebeslebens spiegelte diese frühen Erfahrungen. Amis' Beziehungen zu einer Reihe von Frauen, die selbst erfolgreiche Publizistinnen waren, darunter Claire Tomalin und Tina Brown, fanden reichlich Niederschlag in der voyeuristischen britischen Presse. 1984 heiratete er die amerikanische Akademikerin Antonia Phillips, mit der er zwei Söhne hatte. Neun Jahre später verliess er Philipps für die US-Schriftstellerin Isabel Fonseca; die britische Presse begleitete diesen Vorgang ebenfalls sehr kritisch.
Amis' Behandlung der weiblichen Charaktere in seinen Romanen traf immer wieder auf harsche – und kaum von der Hand zu weisende – Kritik. Sein längster Roman, «London Fields» von 1989, der erstaunlich früh eine nahende Klimakatastrophe thematisierte, schaffte es nicht auf die Shortlist für den Booker-Preis, weil Mitglieder der Jury die Figur der Nicola Six, einer Frau, die sich danach sehnt, ermordet zu werden, als zu misogyn empfanden.
Der Neid der Kollegen
Andere Romane wurden vollständig von den Skandalen überschattet, die ihre Publikation umgaben. Für «The Information» (1995) verlangte er einen riesigen Vorschuss von einer halben Million Pfund und bekam ihn auch, was ihm nach seiner eigenen Darstellung viel Neid unter Kollegen eintrug. Die gleichzeitige Trennung von seiner langjährigen Literaturagentin Pat Kavanagh führte zum Bruch mit seinem Freund Julian Barnes, der mit Kavanagh verheiratet war.
Andere literarische Freundschaften hielten länger. Christopher Hitchens, mit dem er nicht nur den gnadenlosen Blick, sondern auch eine Vorliebe für unaufhörliches Rauchen teilte, war eine Art querdenkerischer Seelenverwandter, der US-Autor Saul Bellow sowohl sein literarisches Idol als auch ein zutiefst respektierter Mentor.
Amis blieb provokativ. Er beschrieb in seinen Memoiren «Experience» in blutigen Details seine sündteuren Zahnbehandlungen, forderte 2010 «Euthanasieboxen» für lebensmüde Senioren und verlor mit dem in einem KZ spielenden Roman «Zone of Interest» («Interessensgebiet», 2014) seinen deutschen Verlag Hanser – das Schweizer Verlagshaus Kein & Aber übernahm die Publikation.
Die letzten zehn Jahre verbrachte Martin Amis in relativer Ruhe vor allem in den USA. In «Inside Story» beschäftigte ihn vor allem, «wie hochbeschäftigt der Tod stets ist, und welch grosse Pläne er für uns hat». Jetzt ist Martin Louis Amis in seinem Haus in Florida seiner Speiseröhrenkrebserkrankung erlegen. Er wurde 73 Jahre alt.
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