Jeremy Seewer nach erstem Saisonsieg«Es fühlt sich unwirklich an»
Der Bülacher Jeremy Seewer hat mit seinem ersten Motocross-WM-Grand-Prix-Gewinn der Saison eine Pechsträhne beendet – und ist darüber mehr als erleichtert.

Jeremy Seewer, Sie haben sich über Ihren Gewinn des GP von Frankreich in der höchsten WM-Kategorie MX-GP enorm gefreut. Wie gross war der Stein, der Ihnen in Villars-sous-Écot vom Herzen gefallen ist?
Jeremy Seewer: Ehrlich gesagt, sehr gross. Nach allem, was dieses Jahr schon passiert ist, war der Sieg mehr als überfällig – und eine grosse Erleichterung. Es fühlt sich aber auch ein wenig unwirklich an. In den letzten Rennen habe ich mich so abgekämpft für kein Ergebnis, zumindest für meine Verhältnisse. Darum ist die Erleichterung jetzt sehr, sehr gross. Vor allem, weil es sogar zum GP-Sieg gereicht hat. Ein Podestplatz wäre schon okay gewesen – ein Sieg ist noch etwas ganz anderes.
Auch nach dem unglücklichen Heim-GP mit dem Sturz in Frauenfeld ist Ihnen das Pech ja treu geblieben, zuletzt hatte eine Lebensmittelvergiftung unmittelbar vor dem GP von Spanien Sie ausgebremst. Hand aufs Herz: Sind Sie da nicht auch einmal ins Hadern oder gar ins Zweifeln gekommen?
Am Anfang der Saison, nach den ersten zwei, drei Rennen, habe ich mir tatsächlich einmal gedacht: «Warum wieder ich? Ich verstehe die Welt nicht mehr.» Grundsätzlich bin ich innerlich aber ruhig geblieben und habe einfach weitergemacht. Auch wenn es manchmal schwieriger war, die Motivation gleich hochzuhalten, wie wenn der Erfolg da ist. Aber ich habe einfach immer weiter und weiter gemacht. Ich habe gewusst, was irgendwo in mir steckt und dass ich nur wieder den richtigen Weg finden muss.
Hatte es sich vor dem GP von Frankreich für Sie abgezeichnet, dass es genau diesmal für ganz vorne reichen könnte?
Das nicht gerade, ich habe mich gefühlt wie vor jedem anderen Rennen. Ich habe schon gewusst, dass wir wieder so weit sind, weit vorne dabei zu sein. Das hatte ich in Spanien aber auch gedacht. Vor Frankreich war ein Podestplatz mein Ziel, mir war klar, dass das drinliegt. An den Sieg zu denken, war nach all dem, was davor war, relativ weit weg. Aber das Rennen hat mir dann gezeigt, dass Siege machbar sind und ich alles in mir drin habe, wenn alles gut läuft.

Haben Sie vor und während des GP von Frankreich denn irgendetwas anders gemacht als an den bisherigen Rennwochenenden?
Nein, ich bin dieses Rennen mit der genau gleichen Einstellung angegangen, mit demselben Material, unter denselben Voraussetzungen wie die vorherigen. Es war wirklich alles gleich.
Sind Sie formmässig denn jetzt dort, wo Sie sein möchten, sprich: Haben Sie die Folgen der schweren Stürze vom Saisonauftakt in Argentinien und vom Ostermontag in Frauenfeld überwunden, körperlich und mental?
Zu 95 Prozent: ja. Am schlimmsten war der Sturz in der Schweiz. Der hat mich die letzte Energie gekostet, danach habe ich zwei, drei Wochen gebraucht. Aber jetzt bin ich wieder auf dem gleichen Stand wie davor. Darauf kann ich aufbauen – und die letzten 5 Prozent herausholen.
Ihr Yamaha-Motorrad ist auf diese Saison hin ganz neu konzipiert worden. Hat die YZ-450-FM eigentlich auch eine gewisse Anlaufzeit gebraucht?
Der neue Töff war von Anfang an so viel besser als der alte, dass es nicht wirklich Zeit gebraucht hat, um mit ihm bei den Besten zu sein. Trotzdem gibt es immer wieder Überraschungen, weil die Maschine noch neu ist. Wir hatten Anfang der Saison ein sehr gutes Gesamtpaket. In der Schweiz und in Trentino, wo andere Bedingungen herrschen, sind wir dann plötzlich an den Starts ins Straucheln geraten. Dieses Problem haben wir aber gelöst und sind jetzt sehr gut unterwegs. Apropos Starts: So gut gestartet wie jetzt im Moment bin ich in meiner ganzen Karriere noch nie. (lacht) Starten und Fahren sind natürlich zwei Paar Schuhe. Aber der Töff funktioniert wirklich sehr, sehr gut, da haben wir alles gut im Griff.

Zurück zum GP von Frankreich. Wie wichtig war es, dort im ersten Rennen den WM-Leader Jorge Prado zu überholen und ihn bis zum Schluss hinter sich zu lassen – für Ihr Selbstbewusstsein und als Kampfansage an den Spanier?
Puh, so habe ich das noch gar nicht angeschaut. Ich schaue zurzeit nur auf mich und gebe mein absolut Bestes – wer jetzt gerade WM-Leader ist, interessiert mich nicht so sehr. Es sind noch so viele Rennen zu fahren, es kann noch so viel passieren. Es gibt drei, vier Fahrer da vorne, die richtig gut sind. Wenn man die alle schlagen kann, ist das immer eine Kampfansage im Rennen um den WM-Titel. Aber ich achte nicht explizit auf den Fahrer mit dem roten Schild – es ist ja noch nicht einmal die Hälfte der Saison vorbei.
Ist Jorge Prado in dieser Saison der Top-Favorit, der, den es zu schlagen gilt? Was zeichnet ihn aus?
Er ist sicher einer der Top-Favoriten. Neben ihm gibt es noch Jeffrey Herlings und Romain Febvre, die ganz vorne dabei sind. Prado ist ein guter Starter, fährt überhaupt am Anfang der Rennen sehr gut, und er macht wenige Fehler. Aber er hat auch Schwächen: Wenn er einmal keinen so guten Start hat, ist er nicht der Beste. Auch, weil das Überholen nicht so seine Stärke ist.
«Ich habe viel zu viele Punkte verloren, es sieht nicht gut aus.»
Im WM-Klassement sind Sie in Frankreich gleich um drei Positionen nach oben geklettert, Ihr Rückstand auf Jorge Prado beträgt aber immer noch 101 Punkte. Wie schwierig wird es, das noch aufzuholen?
Die Tabelle mit der Punktezahl und dem Klassement schaue ich mir gar nicht erst an, das würde nur unnötigen Druck erzeugen. Logisch, bis jetzt ist es alles andere als gut gelaufen. Ich habe viel zu viele Punkte verloren, es sieht nicht gut aus. Das ist mir alles klar. Aber: Nichts ist unmöglich, und ich gehe an jedes Rennwochenende, um mein Bestes zu geben. Und nach 7 von 20 GPs ist immer noch alles offen.
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