Streit um US-AusgabenEx-Finanzminister warnt Biden vor zu grossen Wirtschaftshilfen
Larry Summers befürchtet negative Folgen durch das teure Hilfspaket der Regierung Biden. Sein Wort hat Gewicht – selbst für die Schweiz.

Die erneute Verschärfung der Corona-Krise erfordert weltweit weitere staatliche Stützungsprogramme. Das befeuert selbst in reichen Ländern die Debatte weiter, welche Folgen eine weiter ansteigende Verschuldung haben wird und ob demnächst eine dramatische Inflation droht.
In den USA nimmt diese Debatte nun Fahrt auf. Grund ist ein Kommentar des Ökonomen Larry Summers in der «Washington Post», der selbst im Regierungslager Wellen schlägt: Darin warnt der ehemalige Finanzminister, es mit den Ausgaben nicht zu übertreiben. Konkret hält er das von Präsident Joe Biden geplante neue Stützungspaket im Umfang von 1,9 Billionen Dollar für zu gross.
Die drei Risiken der Verschuldung
Summers’ Meinung hat nicht nur Gewicht, weil er renommierter Ökonom und Ex-Präsident der Eliteuniversität Harvard ist. Noch wichtiger ist seine Nähe zur aktuellen Regierungspartei: Unter Bill Clinton amtete Summers als Finanzminister und unter Barack Obama (mit Joe Biden als Vizepräsident) als ökonomischer Chefberater. Kaum ein anderer hat auf das ökonomische Denken der Demokraten mehr Einfluss als er.
Zudem hat er in den vergangenen Jahren oft höhere Staatsausgaben zur Bewältigung der Wirtschaftsschwäche in den USA gefordert. In einer Studie hat er zusammen mit dem Ökonomen Bradford DeLong argumentiert, bei einer schwachen Wirtschaftslage mit sehr tiefen Zinsen würden sich höhere Staatsausgaben selbst bezahlen, wenn sie das Wirtschaftswachstum befeuern können.
Summers’ Sorgen gelten einer steigenden Inflation, weil Bidens Programm die Wirtschaft stark zu überhitzen drohe.
Und nun kritisiert ausgerechnet Summers das neue Hilfspaket. Chefwirtschaftsberater Jared Bernstein nannte Summers’ Analyse vor der versammelten Presse des Weissen Hauses «schlichtweg falsch». Doch die von Summers angeführten Argumente fügen sich in Debatten ein, die bereits weltweit geführt werden und drei Hauptrisiken betreffen: eine angesichts der Ausgaben drohende künftige Inflation, eingeschränkte Möglichkeiten für Investitionen in die Zukunft und die Gefahr von Verwerfungen an den Kapitalmärkten.
Summers’ Sorgen gelten einer steigenden Inflation, weil Bidens Programm die Wirtschaft stark zu überhitzen drohe. Die Summe der neu geplanten Ausgaben entspreche dem Mehrfachen dessen, was die Wirtschaft durch die Corona-Krise verloren habe. Immerhin wurden bisher bereits Ausgaben von rund 4 Billionen Dollar beschlossen. Wenn nach dem Ende der Pandemie die Bevölkerung das Geld mit beiden Händen ausgebe, das sie angesichts der beschränkten Konsummöglichkeiten angespart habe, und die Wirtschaft auch sonst wieder stark wachse, könnte das für Preisdruck sorgen, warnt Summers.
Seine Kritiker wenden ein, selbst ein so ausgelöster Preisschub sei nicht dasselbe wie eine ausufernde Inflation. Die einstige Chefin der US-Notenbank und neue Finanzministerin Janet Yellen gab in einem Fernsehinterview weiter zu bedenken, dass die Notenbank einer ansteigenden Inflation mit einer Verknappung der Geldversorgung ohnehin den Garaus machen würde.
Doch Summers misstraut der Bereitschaft der US-Notenbank, die Zügel in der Geldversorgung rechtzeitig wieder anzuziehen. Jüngst haben Fed-Chef Jerome Powell und seine Kolleginnen und Kollegen stets erklärt, dass sie noch lange keine Kursänderung in ihrer extrem expansiven Geldpolitik planen und selbst eine Inflation von leicht mehr als 2 Prozent tolerieren würden. Summers befürchtet deshalb eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Wenn alle mit einer höheren Inflation rechnen, erhöhen sie Preise und Löhne, und die Inflation steigt tatsächlich.
Eine Hypothek für die Zukunft
Wird ausserdem jetzt mehr Geld ausgegeben, als notwendig ist – so Summers –, fehlt es künftig für Investitionen in die marode Infrastruktur oder um den Wandel hin zu einer ökologisch nachhaltigeren Wirtschaft zu finanzieren. Begrenzt sind die Ausgabemöglichkeiten für die Weltmacht USA mit ihrer Weltwährung Dollar laut dem Ökonomen aber weniger aus ökonomischen als vielmehr aus politischen Gründen. Weiteren umfassenden Ausgabenpaketen drohen dann nicht mehr nur die Republikaner die Gefolgschaft zu versagen, sondern auch mehr Demokraten. Angesichts der knappen Mehrheiten von Bidens Partei kann dies das Ende künftiger Ausgabenpläne bedeuten.
Warum Biden am umfassenden Ausgabenpaket eisern festhält, hat unter anderem ebenfalls politische Gründe: Man will auf keinen Fall den Fehler der Obama-Regierung nach der Finanzkrise wiederholen. Die auch von Summer geteilte Einschätzung der Geschichte lautet, dass man damals zu zögerlich war bei der Stützung der Wirtschaft und die Krise deshalb länger als nötig angehalten hat. Das wiederum sehen viele mit als Grund für den Wahlsieg von Donald Trump 2016.
Summers’ Warnung, bei den Ausgaben genau Nutzen und Kosten abzuwägen, ist deshalb auch hier und zeitlos gültig.
Die Schweiz hat zwar eine wesentlich tiefere Verschuldung als die USA, doch Debatten um die steigende Staatsverschuldung gibt es auch hierzulande. Unter Fachleuten zweifelt hier zwar kaum jemand am Sinn der Ausgaben zur Stützung der Wirtschaft und daran, dass wir sie uns leisten können. Das heisst umgekehrt aber nicht, dass die Ausgaben folgenlos bleiben. Wie von Summers für die USA beschrieben, drohen die Stützungen heute zulasten von notwendigen Investitionen in der Zukunft zu gehen. Summers’ Warnung, bei den Ausgaben genau Nutzen und Kosten abzuwägen, ist deshalb auch hier und zeitlos gültig.
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Die Schweiz hat das Problem mit den Schulden längst elegant gelöst: Grosse Hilfsbeträge ins Schaufenster stellen, um das Volk zu beruhigen - aber so hohe Hürden (im Schnitt 40% Umsatzeinbusse) einbauen, dass nur ein Bruchteil ausbezahlt wird. Wer nur ein wenig über die Kostenstruktur in kleinen KMU Bescheid weiss, wird rasch darauf kommen, dass die hohen Mieten und Versicherungskosten schon Umsatzeinbrüche von 10…15% zur Existenzfrage werden lassen. Sozialhilfe für konkursite Selbstständigerwerbende ist nun einmal billiger als zehntausende von nicht systemrelevanten Kleinbetrieben während der Pandemie durchzufüttern. So bleibt auch genug Geld, wenn es plötzlich dutzende von Milliarden brauchen würde, um die Immobilien- und Finanzschwerindustrie zu retten. Die sind ja systemrelevant. Dazu kommt dass der Mittelstand überall im Westen ausstirbt und die Zukunft der Wirtschaft nicht mehr im kleinen KMU-Betrieb, sondern bei den grossen Konzernen liegt. Die neofeudalistische US-Wirtschaft mit seiner Gig-Economy und den drei bis fünf Teilzeitjobs zeigen auch uns, wohin die Reise geht.