Teurer HochwasserschutzFehler aus dem Jahr 1993 könnte Bassersdorf Millionen kosten
Ein Wasserbauingenieur vermutet, Bassersdorf habe sich vor Jahrzehnten zu leichtgläubig abspeisen lassen. Es geht um Kosten, den Kanton und kanalisierte Bäche.

Der Dorfbach ist eine Gefahr. Und das in mehrfacher Hinsicht. Momentan gerade weniger wegen reissender Wassermassen, sondern wegen des Geldes, das – aus Sicht eines aufmerksamen Einwohners von Bassersdorf – in riesigen Mengen den Altbach runterzugehen droht. Dann nämlich, wenn die Gemeinde alle Massnahmen für den Hochwasserschutz wie angekündigt umsetzt in den nächsten Jahren. Dazu ist Bassersdorf gesetzlich verpflichtet. Oder etwa doch nicht?
«Es geht bei diesem Fehler um 13 Millionen Franken.»
Der aufmerksame Blick auf die Zuständigkeiten betreffend Hochwasserschutz kommt von Walter Peter. Er ist sich sicher, einen besonders teuren Fehler entdeckt zu haben. Um die Wichtigkeit seiner Anfrage zu betonen, heisst es darin: «Es geht bei diesem Fehler um 13 Millionen Franken. Für die Gemeinde Bassersdorf ein grosser Betrag, für den Kanton Zürich ein kleiner.»
Was zugegebenermassen etwas verwirrend daherkommt, hat an der vergangenen Gemeindeversammlung zunächst für etwas Raunen und Kopfschütteln gesorgt. Das hatte aber mehr mit der fortgeschrittenen Uhrzeit zu tun als mit dem Thema. Denn es war schon kurz vor Mitternacht, als Gemeindepräsidentin Doris Meier (FDP) zur Beantwortung von Walter Peters Anfrage kam.

Bassersdorf sei gar nicht verpflichtet, die ganzen Massnahmen gegen das Hochwasser am Altbach komplett selber zu tragen, will der ehemalige Wasserbauingenieur Peter erkannt haben. Genau davon ging man allerdings bei der Gemeinde stets aus. Er habe in die massgebenden Karten geschaut, sagt der langjährige Angestellte dreier kantonaler Direktionen. Als junger Mann sei er zunächst im Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft auf genau diesem Gebiet tätig gewesen, später in der Volkswirtschafts- und zuletzt in der Sicherheitsdirektion.
Unter maps.zh.ch sind die sogenannten Geodaten des Kantons heute öffentlich zugänglich. Wer genau hinschaue auf der Ebene der Wassertypologie, sehe, dass Bassersdorf die dritte Gemeinde am Ufer des Altbaches und seiner Zuflüsse sei, hat der Senior festgestellt. Daher müsse die Gemeinde den bereits ins Auge gefassten Entlastungsstollen, der mit 13 Millionen Franken Nettokosten im Finanzplan steht, keineswegs selber berappen.
Woher kommt das Wasser im Altbach?
Dabei verweist Peter auf das Wasserwirtschaftsgesetz von 1993. Darin sei festgehalten, dass Gewässer ab der dritten durchflossenen Gemeinde von regionaler Bedeutung seien, so Peter. Und das wiederum bedeutet, dass nur die obersten zwei Gemeinden an einem Gewässer selber für den Hochwasserschutz aufkommen müssen. Bassersdorf wäre in diesem Fall folglich finanziell fein raus.
Ein Blick in den entsprechenden Regierungsratsbeschluss von damals zeigt, dass zwar nicht genau so eine explizite 3er-Regel niedergeschrieben wurde, aber sinngemäss so verstanden werden kann. Da werden Flüsse und Bäche als überkommunale Gewässer definiert, «die ein Einzugsgebiet entwässern, welches mehrere Gemeinden umfasst». Der Altbach kommt aus Nürensdorf, und dessen verästelte Zuflüsse entspringen teils dort, aber eben auch in Brütten und Lindau. Bassersdorf ist somit die dritte Gemeinde an diesem Gewässer.
Das ist genau der Fehler, den Peter meint. Bisher glaubte man, die zweite Gemeinde am Altbach zu sein. «Bassersdorf ist wohl über den Tisch gezogen worden damals, als es darum ging, diese Gewässer festzulegen», mutmasst der Fachmann. Er wolle aber niemandem einen Vorwurf machen, denn damals habe man die Gewässerkarten noch nicht online einsehen können. Jemand habe wohl einfach nicht genau gearbeitet.
Die Gemeindevertreter als Laien hätten das nicht bemerken können. Denn der Lindauer wie auch der Brüttener Zufluss tritt tatsächlich erst auf Nürensdorfer Gebiet an die Oberfläche. In Lindau gibt es aber im Dorf durchaus offene Abschnitte am Oberlauf zu sehen, wobei man ohne entsprechendes Kartenmaterial und Fachwissen nicht erkennen kann, dass es sich um Zuflüsse des Altbachs handelt, die letztlich in Richtung Bassersdorf entwässern.
Gemeindepräsidentin Meier erklärt, der Gemeinderat habe sich immer wieder mit diesem Thema beschäftigt und einige Abklärungen dazu gemacht. Insbesondere habe man sich im Rahmen der Planung für die Glattalbahnverlängerung – wozu auch die Hochwassersicherheit der Gewässer in Kloten unter kantonaler Hoheit nachgewiesen werden muss – dazu eingebracht.
Gemeinde will neue Regelung
Konkret habe sich Bassersdorf sehr wohl dafür eingesetzt, dass der Kanton für den Hochwasserschutz von den Quellen in Brütten, Nürensdorf und Lindau bis zum Zufluss in die Glatt als Einheit zu verstehen sei. Das sei jedoch aufgrund der Komplexität zurückgewiesen worden, bedauert Meier.
«Das ist ein Verstoss gegen das Willkürverbot.»
«Die Gemeinde ist gemäss den kantonalen Rechtsgrundlagen verpflichtet, ein Hochwasserschutzprojekt zu erstellen und dem Kanton zur Prüfung einzureichen, was in nächster Zeit erfolgen wird.» Gleichzeitig werde Bassersdorf den Antrag auf Überprüfung der Zuständigkeiten verlangen, in Wiedererwägung des Beschlusses des Regierungsrats von 1993 – auch im Sinne der Gleichbehandlung, erklärt Meier. Denn darauf zielt Peters Kritik letztlich ab: «Das ist ein Verstoss gegen das Willkürverbot.»
Kanton lässt Gemeinde abblitzen
Bei der zuständigen Baudirektion des Kantons Zürich bestätigt man auf Anfrage, dass Bassersdorf vorstellig geworden sei in dieser Sache. Aber vorläufig sei nicht vorgesehen, die Zuständigkeiten anzupassen. Damit lässt man die Gemeinde einmal mehr abblitzen. «Der Altbach wurde den kommunalen Gewässern zugeteilt. Wie diese Zuteilung zustande gekommen ist, lässt sich nicht mehr genau eruieren. Die Gemeinde war damals allerdings mit der Zuteilung einverstanden», schreibt die Medienstelle dazu.
«Wenn die relevanten Kriterien erfüllt sind, können 45 bis 65 Prozent der Kosten übernommen werden.»
Zudem wird darauf hingewiesen, dass Bassersdorf kein Einzelfall sei. Der Tobelbach fliesse zum Beispiel durch Pfäffikon, Russikon, Wildberg und Zell und sei nicht in der Obhut des Kantons, ebenso wenig wie der Mülibach in Dägerlen, Humlikon, Adlikon und Andelfingen. Umgekehrt gebe es aber Bäche, die schon in der ersten Gemeinde vom Kanton unterhalten würden wie etwa die Jona in Wald oder die Töss in Fischenthal. Ausserdem müsse Bassersdorf für die Hochwasserschutzbauten gar nicht allein aufkommen. Von Bund und Kanton sei durchaus mit Subventionen zu rechnen. «Wenn die relevanten Kriterien erfüllt sind, können 45 bis 65 Prozent der Kosten übernommen werden.»
Peter meint zu seiner Anfrage: «Ich wollte, dass diese Angelegenheit den Bürgern nicht vorenthalten wird.» Dabei hat er einen wunden Punkt getroffen. Zum einen, weil Bassersdorf alles andere als im Geld schwimmt, und zum andern, weil die Gemeinde beim Kanton schon öfter abblitzte. So fühlen sich in Bassersdorf manche übergangen – oder nicht immer gebührend ernst genommen – mit ihren Sorgen und Anliegen. Sei es beim Strassenlärm, wenn Flüsterbeläge dem Dorf vorenthalten werden, oder beim Stauproblem, wenn der Kanton zwar den Nutzen einer Entlastungsstrasse für Bassersdorf in eigenen Studien anerkennt, aber dann doch nichts davon wissen möchte. Oder aber wenn man auch bei der Planung der Glattalbahnverlängerung von Zürich ins Abseits gestellt wird, beim Entscheid, die neue Tramlinie nicht bis zum Bahnhof Bassersdorf durchzuziehen. Obschon das Tram doch als Alternative zur Autobenutzung propagiert wird, die die Blechlawine auf der Strasse verkleinern könnte.
In Kloten zahlt der Kanton
In Kloten sieht es punkto Hochwasserbauten anders aus. Dort fliesst der Altbach zwei Kilometer nach der Gemeindegrenze ebenfalls durch ein dicht bebautes Zentrum. In der Flughafenstadt ist man aber bereits seit 1993 aus der Unterhaltspflicht entlassen. Mit Verweis auf den damaligen Regierungsratsbeschluss wird betont, dass der Altbach ab der Grenze zu Kloten kantonal sei. «Somit ist der Kanton für den Hochwasserschutz zuständig», schreibt Marc Osterwalder, Vizeverwaltungsdirektor der Flughafenstadt, auf Anfrage. Für kleinere Bäche sei man aber selber zuständig.
Glattalbahnverlängerung, Velohauptverbindung und Hochwasserschutz seien gemäss Richtplanung zu koordinieren, erklärt er. Deshalb müsste dies alles grundsätzlich zusammen gelöst werden. Da der Bund die Glattalbahnerweiterung auf der Prioritätenliste überraschend herabgestuft habe, müsse man nun abwarten, was das bezüglich Hochwasserschutz für Kloten und den Flughafen bedeute. «Wir wissen es noch nicht, aber es ist ja auch noch kein definitiver Entscheid.»
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