Gedanken zu WeihnachtenFrieden auf Erden!
Auch an Weihnachten wird von Kriegsgräueln zu hören sein. Aber vielleicht auch von einem Wunder.

«Peace on Earth», «Friede auf Erden», das ist der Titel eines Lieds der Band U2. Das Lied wurde in der Nacht nach dem Bombenanschlag vom 15. August 1998 in Omagh in Nordirland niedergeschrieben. Neunundzwanzig Menschen wurden Opfer des Anschlags, darunter neun Kinder und eine mit Zwillingen schwangere Frau. Es folgten Schrecken, Empörung, Schock, Horror und ein stiller Schrei: «Peace on Earth!»
Auch an Weihnachten 2022 werden wir von Kriegsgräueltaten hören und werden beten, nicht nur darum, dass es keine Eskalation gibt, sondern, dass dem Krieg und dem unermesslichen Leid Einhalt geboten wird. Der Konflikt in der Ukraine ist so viel näher als alle anderen seit dem Zweiten Weltkrieg.
Wie können wir Peace on Earth an Weihnachten unter diesen Umständen erleben? Ergibt es überhaupt Sinn, Weihnachten zu feiern? – Während des Ersten Weltkriegs kam es vor, dass in gewissen Bereichen der Frontlinie die feindlichen Truppen genug vom Gemetzel hatten. Trotz grossem Risiko stellten sie das Feuer ein, und es herrschte ein temporärer Frieden an Weihnachten. Der Film «Joyeux Noël» stützt sich auf die historischen Ereignisse an Weihnachten 1914. In jener Nacht begannen die einander feindlich gesinnten Truppen Weihnachtslieder zu singen. Zum Teil sangen sie die gleichen Lieder, nur die Sprache war anders: Englisch, Französisch und Deutsch. Die Soldaten stellten das Feuer ein.
Vorsichtig kamen sie aus ihren Schützengräben heraus, sie redeten miteinander und tauschten Zigaretten oder Getränke aus. Das waren die Weihnachtsgeschenke. Sie spielten einen Fussballmatch. Und als am nächsten Tag die deutsche Artillerie die alliierten Schützengräben bombardierte, boten die deutschen Soldaten den Alliierten Schutz in ihren Schützengräben und umgekehrt. Das grösste Geschenk war zweifellos der Friede, auch wenn er nur temporär war.
Hat es sich gelohnt, Weihnachten zu feiern und Loblieder zu singen inmitten eines grauenhaften Krieges? – Auf jeden Fall. Als die Soldaten die gleichen Lieder sangen, entdeckten sie, dass sie genau gleich waren, abgesehen von der Sprache und der Farbe der Uniform. Sie hatten die gleichen Bedürfnisse. Sie sehnten sich danach, ihre Familien wieder zu sehen. Sie teilten die Kälte, die schlaflosen Nächte, das Leben in Schützengräben. In jener Weihnachtsnacht hatten sie sich kennen gelernt und entdeckt, dass sie mehr gemeinsam hatten, als was sie trennte.
Könnte etwas Ähnliches an Weihnachten 2022 geschehen? – Ich hoffe es fest, aber es ist unwahrscheinlich. Das Wort des Engels Gabriel zu Maria kommt mir in den Sinn: «Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.» (Lukas 1, 37). Damit gemeint ist, dass das Gute, was uns Menschen unmöglich und undenkbar scheint, für Gott möglich ist. Der Satz bezieht sich auf die Geburt von Jesus, auf Weihnachten. Wenig später im Lukasevangelium geschieht das Unmögliche: «Ihr werdet ein neugeborenes Kind finden, das in Windeln gewickelt ist und in einer Futterkrippe liegt. Und auf einmal war bei dem Engel die ganze himmlische Heerschar, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens.» (Lukas 2, 12–14).
Ich finde es spannend, dass dieser Text, der vor 2000 Jahren geschrieben wurde, den Weg in ein Lied einer modernen Poprock-Band gefunden hat. Das Lied hatte im Jahr 2000, als es erschien, enormen Erfolg. Mit den Angriffen vom 11. September 2001 wurde «Peace on Earth» zum meistgehörten Lied in Amerika. Als Bono den Text von «Peace on Earth» schrieb, rang er mit Jesus, der den Himmel und Frieden auf diese Erde bringen sollte. Es ist ein Klagelied geworden, ein Gespräch mit Gott, in dem er seine Empörung gegen Gott ausdrückt, als ob er Gott wachrütteln wollte.
Die Songwriter der Bibel tun genau dies in den Psalmen: «Kannst du nicht sehen, dass wir dich brauchen? Wach auf! Komm vom Himmel herunter! Mach doch etwas!» Gott stieg tatsächlich herab an den ersten Weihnachten vor 2000 Jahren, als Jesus geboren wurde. Das Lied klagt nicht nur gegen Gott, es wendet sich an Gott wie in einem Gebet. Bono singt-betet: «No one cries like a mother cries for peace on earth.» – «Niemand weint, wie eine Mutter weint für Frieden auf Erden.»
An Weihnachten werden wir daran erinnert, dass es möglich ist, das Gute zu erleben, das wir für unmöglich halten. Es erinnert uns daran, dass für Gott Wunder möglich sind. Es erinnert uns auch daran, dass wir für den Frieden beten können.
Der Prophet Jesaja beschreibt den Messias als Friedensfürsten (Jesaja 9, 5). Als Jesus geboren wurde, war die Welt nicht besonders friedlich. Die Pax Romana wurde von Besatzungstruppen gewährt. In Judäa gab es ständig Rebellionen gegen die Römer, die immer in einem Blutbad endeten. Es gab schon Morddrohungen gegen Jesus, als er noch ein Kind war. Seine Eltern mussten mit ihm nach Ägypten fliehen. Und doch: Als er erwachsen wurde, lehnte er es ab, Anführer einer Rebellion zu werden. Und als der Apostel Petrus Jesus mit dem Schwert schützen wollte, sagte Jesus: «Steck das Schwert in die Scheide! Den Kelch, den mir mein Vater gegeben hat – soll ich ihn etwa nicht trinken?» (Johannes 18, 11)
Petrus steckte sein Schwert zurück in die Scheide und floh so schnell und so weit wie möglich. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir selbst dem Frieden im Weg stehen. Wie können wir Frieden haben, wenn nicht alle ihre Waffen ablegen? Dabei müssen die Waffen nicht unbedingt Gewehre und Raketen sein. Der Hass gegenüber anderen Menschen, die Indifferenz, die Gier und der Wunsch, sich auf Kosten von anderen zu bereichern, die Eifersucht – dies alles sind Waffen, mit denen wir andere Menschen verletzen. In der Nachfolge des Friedensfürsten zu sein, bedeutet, unsere «Schwerter» zurückzustecken, abzulegen und unseren Mitmenschen mit offenen Händen zu begegnen. Die Soldaten an Weihnachten 1914 taten dies und erlebten ein Wunder: Frieden auf Erden. Dies wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen an Weihnachten 2022.
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