
Kein Zweifel: Am meisten Geld zur Corona-Bekämpfung gibt der Bund aus. 80 Prozent der Kosten hat er auf seine Rechnung genommen. Dennoch wäre es verfehlt, die finanzpolitischen Herausforderungen einzig in Bundesbern zu sehen. Denn von der Öffentlichkeit kaum beachtet schlummern in den kantonalen Haushalten erhebliche, besorgniserregende Risiken.
Den Hintergrund bildet die Alterung der Gesellschaft. Heute kommen auf 100 Leute im Erwerbsalter rund 31 im Rentenalter, 2050 dürften es schon 47 sein. Offensichtlich ist, dass der demografische Wandel die AHV tangiert. Seine Wirkung betrifft in erheblichem Mass aber auch Bereiche, bei denen die Kantone die finanzielle Hauptlast tragen – vor allem das Gesundheitswesen und die Langzeitpflege.
Diese Feststellung stammt von unverdächtiger Seite: aus einem kürzlich publizierten Bericht über Langzeitperspektiven für die öffentlichen Finanzen, in dem Fachleute des Bundes Prognosen bis 2050 erstellten und jene Bereiche untersuchten, die am stärksten vom demografischen Wandel betroffen sind. Bei den Kantonen machen diese Ausgaben 56 Prozent aus. Beim Bund sind es 33 Prozent, bei den Gemeinden 36 Prozent.
Die absehbare Mehrbelastung birgt das Risiko für eine strukturell höhere Verschuldung der Kantone.
Entsprechend schwierig sind die Perspektiven für die Kantone. Dem Bericht zufolge kommt der Druck bis Mitte der 2030er-Jahre vom Gesundheits- und dem Bildungswesen, dies aufgrund steigender Schülerzahlen. Danach sind die Treiber die Gesundheit und die Langzeitpflege. Kein Wunder, heisst es im Bericht: «Am stärksten betroffen vom demografischen Wandel sind die Kantone, gefolgt von Bund, Sozialversicherungen und Gemeinden.»
Diese absehbare Mehrbelastung birgt das Risiko für eine strukturell höhere Verschuldung der Kantone. Ihre Einnahmequellen müssen daher jetzt für die nächsten Jahre gesichert und erhalten werden. Es wäre kurzsichtig und falsch, nun an der Verteilung der Gewinnausschüttungen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zu schrauben und einen Beitrag für die AHV zu reservieren, so, wie dies teilweise gefordert wird.
Nach Ansicht der Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren hat sich der heutige rechtliche Rahmen bewährt. Wenn es die volatilen Gewinne der SNB zulassen, verschafft er den öffentlichen Haushalten den finanzpolitischen Spielraum, den sie mit Blick auf die Zukunft unbedingt brauchen.
Zur Dämpfung der beunruhigenden Entwicklung lässt sich auch auf der anderen Seite ansetzen: bei den Ausgaben. Voraussetzung ist jedoch, dass die Verantwortlichkeiten der einzelnen Staatsebenen klarer zugeordnet werden. Gerade in den Bereichen, in denen die Alterung der Gesellschaft eine grosse Rolle spielt, gibt es diverse Verflechtungen und Verbundfinanzierungen.
Man lasse sich durch einzelne Überschüsse und Steuersenkungen nicht blenden: Die Alterung der Gesellschaft ist für die Kantone von enormer Brisanz.
Dabei ist oft die Rede von «Wer zahlt, befiehlt». Doch gilt leider längst nicht auch das Umgekehrte: dass, wer befiehlt, auch zahlt. Aus diesem Grund sollte die sistierte Reform der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen wieder aufgenommen werden. Stärkere Kompetenzen geben den Kantonen die Möglichkeit, die Kostenentwicklung direkt zu beeinflussen.
Man lasse sich durch einzelne Überschüsse und Steuersenkungen nicht blenden: Die Alterung der Gesellschaft ist für die Kantone von enormer Brisanz. Darum ist es wichtig, dass jetzt die Weichen gestellt werden. Die Kantone haben ihren finanzpolitischen Spielraum dringend nötig.
Ernst Stocker ist Präsident der Finanzdirektorenkonferenz. Er gehört seit 2010 dem Regierungsrat des Kantons Zürich an und ist seit 2015 Finanzdirektor.
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Gastkommentar zu öffentlichen Finanzen – Hände weg von den SNB-Gewinnen
Die Alterung der Gesellschaft stellt gerade die Kantone vor grosse Herausforderungen. Darum muss ihr Spielraum gesichert werden, meint Ernst Stocker.