Detaillisten schliessen Filialen Hilflos gegen Blitzangriffe auf Luxusgeschäfte
Organisierte Flashmob-Raubzüge in US-Städten kosten den Detailhandel Dutzende Milliarden Dollar. Die Kritik an der überforderten Polizei wächst.

Vor einer Woche fuhren 80 Jugendliche vor einem Geschäft der Modekette Nordstrom vor. In Windeseile rafften sie Handtaschen, Koffer, Kleider und Schmuck zusammen, rannten zu insgesamt 25 wartenden Autos und rasten davon.
Die Polizei konnte nur drei Diebe im Alter von 18, 30 und 32 Jahren verhaften, die übrigen sind flüchtig. Betroffen war in diesem Fall Walnut Creek, eine schicke Kleinstadt in der Nähe von San Francisco, aber der Überfall in einer Serie von Blitzangriffen auf Luxusgütergeschäfte, bei denen in der Grossagglomeration San Francisco Waren für Millionen Dollar gestohlen wurden.
Die dreisten Überfälle sind gut dokumentiert. Passanten filmten sie und stellten die Videos ins Internet. Die Diebe trugen Skimasken und Hoodies und waren mit Pfefferspray, Hammer und Stemmeisen ausgerüstet.
Die Präsenz von Zuschauern und der Verkehrsstau, den sie verursacht hatten, störten sie offenkundig nicht. Der Polizeichef von San Francisco geht von organisierten Banden aus. «Meiner Meinung nach war dies nicht ungeplant.» Gouverneur Gavin Newsom ordnete an neuralgischen Stellen eine erhöhte Polizeipräsenz an, während Luxusgütergeschäfte die Öffnungszeiten am Abend verkürzten.
«Lediglich Wiedergutmachung»
Doch Sofortmassnahmen lösen ein Problem, das tiefe soziale Wurzeln hat, nicht. «Black Lives Matter» organisierte letzten Sommer eine Solidaritätskundgebung, als Banden reihenweise Luxuswaren geplündert hatten. Die Manifestanten trugen ein Banner mit der Aufschrift «Unsere Zukunft wurde uns gestohlen, wir stehlen zurück». BLM-Organisatorin Ariel Atkins ging noch weiter: «Es ist mir egal, wenn jemand einen Gucci- oder Nike-Laden ausraubt, um etwas zum Anziehen oder zum Essen zu haben. Das ist lediglich eine Wiedergutmachung.»
Doch der Backlash hat begonnen. Republikanische Kandidaten für die nächsten Wahlen setzen Videos der Raubzüge für ihre Kampagne ein, um die Verantwortung an die Linke und ihrer Forderung nach einer Definanzierung der Polizei abzuschieben. Umfragen lassen vermuten, dass diese Botschaft bei den Wählern ankommt, und dies auch zunehmend bei weissen Demokraten.
Organisierte Überfälle durch jugendliche Banden haben seit Ausbruch der Corona-Pandemie zugenommen. An sich treiben Krisenzeiten gemäss der National Association for Shoplifting Prevention Ladendiebstähle immer in die Höhe. So wurden 2008 nach der Rezession von 34 Prozent mehr Diebstähle gemeldet, nach den Terroranschlägen vom September 2001 waren es 16 Prozent gewesen. Diese Zahlen dürften deutlich übertroffen werden. So stieg die Zahl der Raubzüge in Philadelphia um 60 Prozent, und in Kalifornien wurde bereits vor der Pandemie eine Zunahme von 20 gemeldet.
Fatale Volksinitiative
Damit steigen auch die Schäden. Die National Retail Federation schätzt die Schäden vor der Pandemie auf 62 Milliarden Dollar, fast ein Viertel mehr als 2018. Die Verluste kosteten die Branche 1,6 Prozent des Gewinns, in einzelnen Fällen über 3 Prozent. Ein spürbarer Einschnitt bei mittleren Gewinnmargen der Branche bei 5 bis 7 Prozent. Detaillierte Zahlen für 2020 und 2021 liegen noch nicht vor, doch rechnen Marktexperten erneut mit Zunahme im zweistelligen Prozentbereich.
Viele Geschäfte stehen den Attacken hilflos gegenüber. Sie haben die Angestellten angewiesen, die Räuber nicht zu stoppen, um Gewalttaten zu vermeiden. Die Lage in Kalifornien ist für Ladenbesitzer besonders heikel geworden. Ladendiebstahl ist faktisch entkriminalisiert, seit die Stimmbürger 2014 eine Initiative guthiessen, die den Raub nur als Vergehen verfolgt, solange das Diebesgut weniger als 950 Dollar wert ist.
Das hat dazu geführt, dass die Polizei die Räubereien nicht als Priorität behandelt und auch Einbrüche in Autos nur schulterzuckend zur Kenntnis nimmt. Begründung: Selbst wenn die Täter angezeigt werden, hätten sie mit milden Konsequenzen zu rechnen. Deshalb reagieren auch Passanten passiv, wenn Diebe vor aller Augen die Schlösser knacken und täglich Hunderte von Velos stehlen, um sie später auf Graumärkten feilzubieten. Weniger als drei Prozent des Diebesgutes kann später sichergestellt werden.
Die grossen Ketten schliessen Filialen
Die Nase voll haben die zwei grössten Drogerieketten des Landes. Walgreens schloss bereits 22 Geschäfte in San Francisco und erklärte, der steigende Aufwand für Sicherheitspersonal mache wirtschaftlich keinen Sinn mehr. Auch CVS schloss zwei Geschäfte mit der Begründung, San Francisco sei für über ein Viertel aller Diebstähle in der Region verantwortlich. Die Modekette Target hatte zuvor schon Geschäfte in Chicago, Milwaukee und Flint in Stadtteilen geschlossen, wo Demonstrationen gegen die Polizei in Plünderungen ausgeartet waren.
In San Francisco zeichnet sich ein neues Muster ab. Die Stadt wird zunehmend von einer Kluft zwischen einer reichen Oberschicht und der grossen Mehrheit von Familien zerrissen, die unter steigenden Haus- und Mietpreisen sowie Arbeitsstellen mit Minimallöhnen leiden.
Der enorme Wohlstandsgewinn für eine Minderheit hat die Stadt völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie droht definitiv zu einer Insel für eine weisse Elite zu werden, die sich als progressiv versteht, aber unfähig ist, die sozialen Ungleichheiten zu mildern.
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