Start in die SkitourensaisonIm Januar lockt Schneevergnügen in Splügen
Für Touren auf Sehnsuchtsberge ist der Winter im Rheinwald noch zu jung. Dafür können sich Skitourenfans in der meist schneereichen Zeit Anfang Jahr auf Pulver freuen.

Drei Tage lang tanzten die Flocken fast ohne Unterbruch. Besonders viel Schnee gab es im bündnerischen Rheinwald, denn das Weiss fällt hier besonders intensiv vom Himmel, weil sich die Luft von Norden her am Alpenhauptkamm staut, aber auch bei Fronten von Süden.
Allerdings: Häufig fegt der Föhn durchs Tal. Kaum verwunderlich, dass mal wieder ein Sturm angekündigt wird. Für Skitourengänger heisst das: Wenn der Wind gewütet hat, ist der Pulvertraum vorbei. Ausserdem erhöht sich die Lawinengefahr.
Wie in der Vergangenheit hat Gerhard auch dieses Jahr Tourentage in Splügen organisiert – im Hochwinter, wenn gute Chancen auf Pulverglück bestehen. Fast wie in Kanada, wo der passionierte Skifahrer und Tourenleiter im Ehrenamt jeweils die Saison beginnt.
Die Tourentage am Hinterrhein sind schon fast Kult. Ein Grüppchen Habitués hat sich angeschlossen. Denn Splügen auf fast 1500 Meter über Meer ist schneesicher und ruhig. Im Angebot: ein kleines Skigebiet, eine Langlaufloipe und unzählige Möglichkeiten für Skitouren bei fast allen Verhältnissen. Selbst bei Föhnsturm, vorausgesetzt, man kennt das Gebiet.
Einstiegstour im Windschatten des Einshorns
Wir wählen nach der langen Anreise eine Aufwärmtour und fahren mit dem Postauto bis Nufenen. Wie ein Schiffsbug rammt hier das Einshorn das Tal von Süden her. Doch den markanten Gipfel sehen wir nicht, der Berg hüllt sich in Wolken. Unterhalb des Horns zieht sich ein Felsriegel ostwärts. Im Windschatten liegt oft noch unverfrachteter Pulver.
Wir laufen Richtung Wannagrat (2431 Meter über Meer), eine einfache Skitour, die man mit guter Routenwahl auch bei heikleren Verhältnissen machen kann. Gerhard zieht die Spur, bald schwindet die Sicht. Mithilfe des GPS weichen wir im kupierten Gelände den steileren Hängen aus und streben zuletzt im Flachen hinüber zum Skigipfel.

Den steilen Schlusshang lassen wir aus, vorsichtig ziehen wir fast im Blindflug unsere Bögen und fahren die Aufstiegsspur entlang wieder hinab ins Tal. Pulver gut, die Sicht suboptimal, so die Bilanz an diesem ersten Tag.
Flockentour mit Abfahrten im Wald
Frischer Schnee ist für den zweiten Tag angesagt, doch am Morgen schimmert Blau durch den milchigen Himmelsschleier. Wir hoffen, das Föhnfenster hält noch eine Weile. So ziehen wir direkt von Splügen los, nutzen die Gondelbahn für die ersten Höhenmeter, montieren die Felle und laufen Richtung Guggernüll (2886 m ü. M.)
Auch dies eine Skitour, die bei heikleren Lawinenverhältnissen machbar ist. Wir umgehen die Steilstufe, dann sehen wir: Hier hat der Wind ganze Arbeit geleistet. Auf dem Bergrücken ist viel Schnee weggeblasen, andernorts festgepresst oder zu scharfen Kanten ausgefressen: kein Pulvertraum. Kurzerhand brechen wir ab, ziehen die Felle von den Ski und überlassen das Gelände den Gämsen, die uns von den aperen Flecken her genau beobachten. «Waldabfahrt», schlägt Gerhard vor.

Wir fahren zum Skilift, meiden das Wildschutzgebiet und rauschen in der Falllinie hinab zur Passstrasse. Luftig leicht liegt zwischen den Tannen der Schnee, den der Wind in der Höhe weggefegt hat. Was für ein Vergnügen! Auf der anderen Talseite steigen wir zweihundert Höhenmeter auf, sausen wieder hinab zur Passstrasse. Mittlerweile fallen fette Schneeflocken. Doch weil es so schön war, nehmen wir die Aufstiegsspur gleich noch mal.
Die Sonnentour und der Flirt mit dem Süden
Das Gute an Splügen: Die Südseite des Alpenhauptkamms liegt nur einen Tunneldurchstich entfernt. Nach zwanzig Minuten Fahrt steigen wir am dritten Tag in San Bernardino aus dem Postauto. Unterdessen hat die Wetterlage gedreht, es geht der Nordföhn.
Wieder suchen wir uns Hänge, die hinter einem Bergriegel abgeschirmt sind und bei dem vielen Neuschnee begangen werden können. Das stillgelegte Skigebiet von San Bernardino – «funzionamento incerto» steht noch immer auf der Skitourenkarte – ist ideales Gelände.
Über die Abfahrtsschneisen steigen wir auf, bei der Steilstufe hinter der Bergstation der Gondel wird es kurz abenteuerlich. Mühsam arbeiten wir uns mit Spitzkehren zwischen den Lärchen den gestuften Hang hinauf. Unter dem Pan de Zucher wirbelt der Nordföhn Schnee ins Gesicht, doch bald zeigt der Felsriegel Wirkung. Locker liegt hier Pulver im geschützten Kessel, doch an den Steilwänden lösen sich zahlreiche spontane Schneebretter, ein Aufstieg auf den Grat, Pass dei Omenit (2652 m ü. M.), steht nicht zur Diskussion.
Die Wolkendecke reisst auf, dick in Schnee gepackt leuchten die Bergprotzen des Misox. Der Pulver glitzert, wir juchzen. Doch das Schönste ist die Abfahrt durch den lichten Lärchenwald. Wieder steigen wir gleich noch einmal auf bis zur Waldgrenze.
Perfekter Abschluss: Freie Sicht auf die Gipfel der Träume
Am letzten Tag strahlt der Himmel blau. Zwischen Walserhäusern und Palazzi laufen wir durch Splügen, steigen gleich dahinter den Hang hoch Punkt auf dem Grat vor dem Schollenhorn (2732 m ü. M.). Hier besitzt das Gelände die perfekte Ausrichtung, der Wind streicht links und rechts vorbei, der Schnee bleibt fast unberührt.
Im Aufstieg gleitet der Blick über das Tal zum Surettahorn (3027 m ü. M.), den Pizzo Tambo (3279) und jetzt auch zum Einshorn (2944), alle drei Sehnsuchtsberge, die erst später im Jahr, wenn der Schnee verfestigt ist, mit alpiner Ausrüstung begangen werden können. Die erste Linie ziehen wir heute nicht, doch der Hang ist breit genug, er hat die perfekte Neigung, nahezu dreissig Grat über vierhundert Höhenmeter.
Wir fliegen. Urs strahlt. «Solche Verhältnisse hat man selten!», sagt er. Eva jubelt: «Eine tolle Tour!» Und Fabio hätte noch ein drittes Mal die Felle montiert. Denn natürlich sind wir noch ein zweites Mal aufgestiegen.
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