
Ab und zu erreicht auch heute noch ein Brief die Redaktion. So zum Beispiel der einer Künstlerin aus dem Unterland, die diese Zeitung abonniert hat. Ihr Anliegen: «Könnten Sie mir diesen Text auf verständliche Weise erklären?» Angehängt ist ein Zeitungsausschnitt von einer Agenda-Seite im August. Darin wird auf eine Ausstellung in Zürich hingewiesen. Titel «Eavesdropping», was so viel wie «Abhören» heisst.
Darunter lädt eine Beschreibung für den Besuch der Ausstellung ein. Das vorweg: Es ist kompliziert. «Der White Cube als Galerieraum ist in etwa eine perfekte Abstraktion einer anthropozänen Trennung zwischen der Zivilisation und der übrigen Welt. Adam Cruces hat diese Grenze in seinen Arbeiten ausgelotet und verwischt, indem er die Lächerlichkeit des vermeintlich normalen Gebrauchs und die Verwunderung über die menschlichen Versuche der Illusion verhandelt. Hier lenkt er die Aufmerksamkeit auf das Innere eines Galerieraums und die Art und Weise, wie jedes kulturelle Produkt die Welt ausserhalb des Raums suggerieren will. In der Installation von Cruces werden diese Momente noch dazu ins Gegenteil verkehrt.»
Bei diesen Zeilen komme ich mir tatsächlich wie ein funktionaler Analphabet vor, um es mit einem Fachbegriff zu beschreiben. Die einzelnen Wörter verstehe ich alle, auch wenn ich mir bei anthropozän die Bedeutung zusammenreimen muss. Einem Redaktionskollegen ist das Wort geläufiger: «Ich kenne es aus dem Ärzte-Song Abschied», meint er. Mühe habe ich aber, den Sinn des Abschnitts zu verstehen. Der Zusammenhang erschliesst sich mir auch beim zweiten und dritten Durchlesen nicht.
Meine Antwort auf den Brief fällt demnach einfach aus: Ich kann die Zeilen nicht erklären, weil ich sie schon gar nicht verstanden habe. Zu Recht hat sich die Leserin also bei uns gemeldet. Das Problem: Wie hätte man das einfacher formulieren können? Vielleicht sind die Wörter so genau richtig gewählt und widerspiegeln geschickt die Idee des Künstlers, die hinter seinen Werken steckt. Ans Umschreiben hätte ich mich jedenfalls nicht gewagt.
Ist es vielleicht ein Künstler-Slang, zu dem ich einfach keinen Zugang habe? Offenbar nicht, denn sonst hätte sich die Künstlerin nicht mit einem Brief an die Redaktion gewandt. Sie hätte gelesen, genickt und verstanden. Mag sein, dass es Leserinnen und Leser gibt, die sich dadurch angesprochen fühlen. Mich aber hat der Hinweis nicht gluschtig gemacht, obwohl mir die Kunstwerke bei einem Besuch vielleicht gefallen hätten.
Die Leserin wünscht sich statt solcher unverständlicher Veranstaltungshinweise mehr Informationen über sehenswerte Ausstellungen im Unterland. Tatsächlich versprechen die in der gleichen Ausgabe publizierten Hinweise auf die Ausstellungen «Ziitlos» in Embrach oder «Blau, Grün, Rosa, Silber und andere Farben. Und ein paar Flaschen mit Stefan» in Eglisau zumindest dem Titel nach eingängigere Beschreibungen.
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Kolumne ZUgespitzt – In Erklärungsnot wegen Kunstausstellung
In der Rubrik «ZUgespitzt» greifen Redaktorinnen und Redaktoren Themen aus dem Unterländer Alltag auf.