Gewässerschutz und LandnutzungKantone sehen historischen Deal in Gefahr
An Fliessgewässern tobt ein Kampf um wertvolles Land. Bürgerliche Politiker wollen den Bauern helfen. Kurz vor einem wichtigen Entscheid formiert sich Widerstand.

Was ist eine Abmachung in der Politik wert? Anfang nächster Woche stellt sich diese Frage den 25 Parlamentariern der nationalrätlichen Umweltkommission. Der Ständerat hat vorgespurt – und ist dabei auf Konfrontation mit dem Bundesrat gegangen.
«Wir brauchen klare Signale an die Bevölkerung: dass Bundesrat und Parlament gemeinsam gewillt sind, den Bereich des Gewässerschutzes zu stärken», mahnte Simonetta Sommaruga in der Frühlingssession. Die Umweltministerin sagte dies nicht zuletzt mit Blick auf die beiden Agrar-Initiativen, die am 13. Juni zur Abstimmung gelangen. (Lesen Sie hier mehr zur Trinkwasserinitiative) Bundesrat und Parlament lehnen beide Volksbegehren ab, versprechen aber, mit mehreren Massnahmen die Gewässer besser zu schützen, etwa einem Absenkpfad für Pestizide.
Umstimmen konnte die Umweltministerin die Kantonsvertreter nicht: Die kleine Kammer fordert mehr Spielraum bei der Ausscheidung sogenannter Gewässerräume. Das sind jene Zonen links und rechts von Bächen, Flüssen und Seen, die den Schutz vor Hochwasser sowie die Wasserqualität sicherstellen und den Lebensraum für Tiere und Pflanzen bewahren sollen.
Tangiert ist häufig Landwirtschaftsland. Verliert ein Bauer deswegen einen «übermässigen Anteil» seiner Fläche für den Futteranbau, sollen diese Zonen in Zukunft verkleinert werden können. Eine Mehrheit im Ständerat aus SVP, FDP und der Mitte-Partei hiess eine entsprechende Motion von Jakob Stark (SVP) mit 28 zu 18 Stimmen Anfang März gut.
Volksinitiative zurückgezogen
Die Gewässerräume indes waren Teil eines politischen Kompromisses, der 2010 zum Rückzug der Volksinitiative «Lebendiges Wasser» geführt hatte. Das Volksbegehren, das der Schweizerische Fischerei-Verband (SFV) lanciert hatte, verlangte die Revitalisierung aller verbauten Flüsse in der Schweiz.
Das Parlament reagierte mit einem Gegenvorschlag: Es sollte nun zwar nur ein Viertel der Fliessgewässer renaturiert werden, also etwa 4000 Kilometer. Doch das Parlament einigte sich darauf, dass diese Abschnitte vernetzt werden sollen und neue Gewässerräume ausgeschieden werden müssen. Dort sind Pflanzenschutzmittel und Dünger verboten, eine extensive Landwirtschaft ist hingegen erlaubt. Und sie wird vom Staat abgegolten: mit 1000 bis 3000 Franken pro Hektare und Jahr. Das Parlament hatte eigens dafür das Landwirtschaftsbudget um 20 Millionen pro Jahr erhöht.
Arbeiten bis 2026 abgeschlossen
Der Fischerei-Verband bezeichnet es als «inakzeptabel», dass ein zentrales Element des damaligen Gegenvorschlags im Nachhinein «deutlich abgeschwächt» werden soll. «Den Kompromiss erachten wir nach wie vor als verbindlich, auch für das Parlament», heisst es in einem Schreiben an die Mitglieder der nationalrätlichen Umweltkommission, das dieser Zeitung vorliegt. Für den Verband steht nichts weniger als «das Vertrauen in unsere parlamentarischen Institutionen auf dem Spiel».
«Eine Annahme der Motion wäre eine Änderung der Regeln während des Spiels.»
Widerstand kommt auch von den Kantonen. Befürchtet wird, dass betroffene Grundeigentümer bereits festgelegte Gewässerräume aufgrund der neuen Gesetzeslage wieder infrage stellen könnten. «Eine Annahme der Motion wäre eine Änderung der Regeln während des Spiels», sagt Stephan Attiger, Präsident der kantonalen Umweltdirektoren. Das sei gegenüber jenen Kantonen und Gemeinden unfair, die ihre Arbeit bereits gemacht hätten, so der Aargauer FDP-Regierungsrat. Aktuell sind die Gewässerräume in etwa der Hälfte der Gemeinden und Kantone bereits ausgeschieden. Bis 2026 sollen die Arbeiten grösstenteils abgeschlossen sein.
Ein vager Kompromiss
Auch die kantonalen Landwirtschaftsdirektoren lehnen den Vorstoss ab. Der Handlungsspielraum bei der Ausscheidung der Zonen sei heute schon «ausreichend». Dies liegt nicht zuletzt an Anpassungen, die in den letzten Jahren nicht zuletzt auf Druck des Parlaments vorgenommen wurden. So etwa ist es erlaubt, die minimalen Breiten der Gewässerräume bei dicht überbauten Gebieten zu reduzieren.
«Es geht mir darum, eine schwierige Situation zu bereinigen, um langwierige Konflikte zu vermeiden.»
Der Ständerat dagegen sieht den historischen Kompromiss nicht tangiert. Vielmehr werde dieser «ein weiteres Mal aufgrund der konkreten Herausforderungen sachgerecht angepasst», sagt Jakob Stark. Zwischen 2012 und 2014 war der SVP-Ständerat selber Präsident der kantonalen Umweltdirektoren. Der Kompromiss, resümiert Stark, sei von Beginn weg sehr vage gewesen: «Es geht mir darum, eine schwierige Situation bei wildbachartigen Flüssen wie Thur, Linth oder Emme zu bereinigen, um langwierige Konflikte und Blockaden zu vermeiden.» Für reduzierte Biodiversitätsflächen werde andernorts Ersatz geschaffen, so Stark. Ziel sei es, den Interessenausgleich zwischen einer Erweiterung der Biodiversitätsflächen und landwirtschaftlicher Weiternutzung von bestem Kulturland zu verbessern.
Wie die Umweltpolitiker im Nationalrat nächste Woche entscheiden werden, ist schwierig einzuschätzen. Sympathien für die Variante des Ständerats gibt es jedenfalls bis in die Mitte-Partei. Nationalrat Nicolo Paganini etwa sagt, er tendiere dazu, den Vorstoss zu unterstützen. Es sei nicht ungewöhnlich, dass sich in der Praxis Probleme beim Vollzug eines neuen Gesetzes ergäben. «Da sollte der Gesetzgeber Hand bieten für eine Lösung.» Dem Vernehmen nach gibt es aber auch Pläne dafür, das Geschäft mit einem Prüfauftrag an die Verwaltung zu überweisen. Der Entscheid wäre damit vertagt – sicher bis nach dem Urnengang vom 13. Juni.
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