
Anfang Februar teilte Amerikas drittgrösste Tageszeitung, «The Philadelphia Inquirer», in eigener Sache mit, sie habe die Kommentarfunktion ihrer Website eingestellt – mit Ausnahme von Reaktionen zu Artikeln über Sport und Liveevents. Der Grund? «Die Kommentare auf Inquirer.com sind schon vor längerer Zeit von einer Reihe von Trollen gekapert worden, deren Währung Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie sind.»
Zwar mache diese Gruppe, so das Blatt, nur eine verschwindend kleine Fraktion der Leserschaft aus. Doch ihre Wirkung sei unverhältnismässig stark und nachhaltig. Ausserdem sei nicht nur die Redaktion, sondern auch das Publikum vom Inhalt übler Kommentare nachteilig betroffen. Die Berechtigung der Massnahme? Die von der amerikanischen Verfassung garantierte Redefreiheit verpflichte ein Medium nicht, alle Äusserungen gleich zu behandeln oder ein öffentlich zugängliches Forum für Kommentare zur Verfügung zu stellen.
Publizist Arno Frank ist schon vor Jahren zum unverblümten Schluss gelangt, Kommentarspalten seien «öde Scrollgeröllhalden».
Einer US-Studie zufolge können bösartige, häufig anonyme Reaktionen die Glaubwürdigkeit von Artikeln, Autorinnen und Autoren beeinträchtigen. Gleichzeitig zeigen andere Untersuchungen, dass die Option der Anonymität unter Umständen die Bereitschaft von Leuten steigert, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen, und das Gemeinschaftsgefühl stärkt.
Hingegen ist der Publizist Arno Frank schon vor Jahren zum unverblümten Schluss gelangt, Kommentarspalten seien «öde Scrollgeröllhalden», gefüllt «mit rauchenden Wortwracks und Satzruinen, so weit Auge und Geduld reichen». Frank spricht von «Schwarmdummheit».
Nur selten fordern Leserinnen oder Leser, die Kommentarspalten von Tamedia-Titeln seien abzuschaffen. Was aber nicht heisst, dass sie mit deren Moderation stets zufrieden sind – im Gegenteil. Sie ärgern sich wiederholt, dass ihre Reaktionen, im Gegensatz zu denen anderer Kommentierender, nicht aufgeschaltet werden oder dass Kommentarspalten zu bekannt heiklen Themen nicht geöffnet werden. Kurzer statistischer Seitenblick: Bei «20 Minuten» treffen täglich mehr als 10'000 Kommentare ein, beim «Tages-Anzeiger» sind es rund 3000 pro Tag.
Auch der Vorwurf der Zensur seitens von Tamedia wird gelegentlich laut, obwohl das Veröffentlichen oder Unterdrücken von Lesermeinungen im Ermessen von Redaktionen liegt. «Die Reichweite eines Lügners zu reduzieren ist nicht dasselbe, wie die Redefreiheit einzuschränken», folgert Brian Stelter, der Medienkorrespondent von CNN, womit er auch das Recht von Kommunikationsplattformen wie Facebook oder Twitter meint, auffällige User zu sperren.
Derweil äussert ein Leser Verständnis, dass die Moderation von Kommentaren «eine riesige Herausforderung» ist, die niemals perfekt ablaufen kann. Auch in Sachen Inhalt der Stellungnahmen kritisiert er Tamedia nicht. Ihn frustriert aber der Umstand, dass gewisse User im Gegensatz zu ihm ungehindert kommentieren dürfen, obwohl ihre Nutzernamen nicht der Netiquette entsprechen würden, was er jeweils melde – bisher ohne Erfolg. Er schlägt vor, Kommentare, deren Verfassernamen nicht den Regeln entsprechen, direkt zu blockieren. Falls nicht, bleibe sein wohl grösster Frust: «Die dürfen, ich nicht.»
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Kolumne des Ombudsmanns – Kommentare können Glaubwürdigkeit von Artikeln beschädigen
Sind Usermeinungen ein wichtiger Teil des öffentlichen Diskurses oder bloss ein Tummelfeld von Trollen?