Alpinismus während der Corona-KriseMessner plädiert für Bergverzicht
Noch immer zieht es viele Menschen in die Höhe, etwa in den Alpstein. Extrembergsteiger Reinhold Messner dagegen bleibt zu Hause – um Menschenleben zu schützen.

Der junge Mann hat sich offenbar angesteckt – mit dem Bergvirus. Er will das «schöne Wetter und die idealen Bedingungen nutzen». Beim Skiaufstieg auf einen bekannten Gipfel in den Urner Alpen filmt er sich selber. Man erahnt das Gefühl von Freiheit, das der Mann empfinden muss.
In die Höhe gehen trotz Corona-Krise: Verboten hat es der Bundesrat nicht. Doch lässt es sich guten Gewissens rechtfertigen? Was, wenn ein Berggänger verunfallt und Spitalpflege braucht, das Gesundheitswesen also in einer überaus angespannten Situation zusätzlich belastet?
«Sehr viele Personen» im Alpstein
Der besagte Mann ist kein Einzelfall. Allein auf einem Nachbargipfel erspäht er sechs Tourengänger, wie er später im Bergforum Hikr.org notieren wird. Auch in anderen Winkeln der Alpen herrscht Betrieb, obschon die Bevölkerung auf Anraten des Bundesrats zu Hause bleiben soll. Im Alpstein etwa halten sich dieser Tage «sehr viele Personen» auf, wie die Behörden des Kantons Innerrhoden festgestellt haben.
Potenziell riskant ist das nicht nur der Unfallgefahr wegen. Viele dieser Ausflügler nutzen offenbar die öffentlichen Verkehrsmittel, die ihren Fahrplan ausgedünnt haben. Die Folge: Wer seinen Arbeitsweg mit den Appenzeller Bahnen zurücklegen muss, findet derzeit vielfach keinen Platz mehr und kann die Abstandsregeln nicht einhalten, wie die Kantonsbehörden monieren. Sie rufen deshalb die Bevölkerung auf, von Ausflügen in den Alpstein abzusehen. Für einen Spaziergang eigne sich die unmittelbare Umgebung des eigenen Wohnorts.
«Ich nehme die Krise ernst. Weder Bergwanderungen noch Skitouren sind zwingend nötig.»
«Selbstbeschränkung, Verzicht, Innehalten»: Dafür plädiert Reinhold Messner – nicht nur jetzt, aber jetzt ganz besonders. Der italienische Extrembergsteiger und Buchautor weilt derzeit in München. «Nicht weil ich 75 Jahre alt bin oder zur Arbeit müsste, sondern weil ich die Krise ernst nehme», sagt er. Weder Bergwanderungen noch Skitouren seien zwingend nötig.
Hingegen müsse alles getan werden, um die Menschheit zu schützen. «Dafür verzichte ich sogar für eine bestimmte Zeit auf die Freiheit, aufzubrechen, wohin ich will», sagt er in Anlehnung an den Titel eines seiner Bücher. Gleich tönt es vom Schweizer Alpen-Club (SAC): «Jede und jeder Einzelne von uns ist nun gefordert, Rücksichtnahme und Solidarität zu zeigen», sagt Sprecherin Fabienne Bögli. Seit letzter Woche sind alle SAC-Hütten geschlossen.
Disziplin nimmt zu
Wie viele Berggänger so wie Messner handeln, ist unklar. Im Kanton Uri etwa sind in den ersten Tagen der «ausserordentlichen Lage», die der Bundesrat am 16. März erklärt hat, noch viele Leute in die Höhe gegangen, wie Adrian Zurfluh, Sprecher der Standeskanzlei Uri, erklärt. «Mittlerweile befolgt die Bevölkerung die Vorschriften von Bund und Kanton aber sehr viel besser.»
«Dieses Verständnis und die Solidarität haben uns positiv überrascht.»
Dazu passt: In den Foren für Berggänger gibt es zwar noch immer Einträge von Touren, allerdings weniger, als mit Blick auf das sonnige Wetter und die aktuell guten Verhältnisse zu erwarten wären. Die Bergportal GmbH, welche die Online-Community Gipfelbuch.ch betreibt, mahnt auf ihrer Seite an prominenter Stelle: «Bleib zu Hause – rette Leben!» Der Aufruf habe ein gewaltiges Echo ausgelöst, sagt CEO Reto Baur sagt. Bis auf ein paar wenige Rückmeldungen seien alle zustimmend gewesen. «Dieses Verständnis und die Solidarität haben uns positiv überrascht.»
Um möglichst bei niemandem die Lust auf eine Bergtour zu wecken, kann derzeit – anders als bei Hikr.org – jeder Berggänger nur seine eigenen Toureneinträge mit Bildern, Videos und Beschreibungen sehen. «Mit dieser Massnahme deaktivieren wir quasi temporär den Multiplikatoreffekt», sagt Baur. Für jene, die trotz allem in die Berge steigen, gibt das Portal Empfehlungen ab, etwa «besonders vorsichtig» zu sein und nicht mit dem ÖV anzureisen. Einen Widerspruch sieht Baur darin nicht. Aktivitäten im Freien seien ja weiterhin erlaubt. «Wir können die User zu nichts zwingen.»
«Die Rega rettet, sie richtet nicht.»
Disziplin herrscht offenbar im Raum Zermatt. «Die Leute halten sich mehr oder weniger an die Vorgaben und gehen nicht in die Berge», sagt Gerold Biner, CEO der Air Zermatt. Normalerweise wären die SAC- und andere private Berghütten jetzt voll mit wagemutigen Gipfelstürmen. Doch jetzt sind sie geschlossen, es ist Ruhe eingekehrt. «Bei den Rettungseinsätzen ist der Rückgang deutlich spürbar», sagt Biner. Der einzige registrierte Bergunfall der letzten Tage: Am letzten Freitag musste die Air Zermatt zwei total erschöpfte Bergsteiger aus der Nordwand des Matterhorns bergen.
Auch die Rega beobachtet, dass die Einsätze in den letzten Tagen tendenziell zurückgegangen sind. Sie unterstützt die Empfehlungen des Bundesrats, daheim zu bleiben. Jene, die trotzdem auf Gipfel stürmen, qualifiziert die Rega nicht. Wieso jemand in eine Notlage geraten sei, spiele für die Crews im Einsatz keine Rolle, sagt Geschäftleitungsmitglied Karin Hörhager. «Die Rega rettet, sie richtet nicht.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.