Korruptionsskandal in Island und NamibiaMit einer Sporttasche voll Geld fing es an
Ein Whistleblower hat enthüllt, wie ein isländischer Fischereikonzern die Küsten vor Namibia plünderte. Nach einem Giftanschlag droht ihm Gefängnis. Ist er ein Krimineller? Oder ein Held?

Das Hühnchen hat ihn niedergestreckt, ausgerechnet. Ihn, den Mann, der die Haie hinter Gitter gebracht hat. Das Hühnerschnitzel aber, knusprig paniert, hätte er nicht essen dürfen. Zuerst war ihm, als stünde er unter Strom, von Kopf bis Fuss, dann, so beschreibt er es, habe es sich so angefühlt, als schwemme sein Blut Rasierklingen durch seinen Körper. Dazu das unkontrollierte Zittern, Jóhannes Stefánsson kennt das alles schon. Es ist nicht das erste Mal, dass sein Körper rebelliert.
Stefánsson war einmal ein einfacher isländischer Fischer. Wie soll man ihn heute nennen? Einen Helden? Einen Kriminellen? Stefánsson ist da selbst ganz nüchtern. Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Bestechung: «Habe ich alles mitgemacht.» Höher als in den Jahren in Namibia war er im Laufe seiner Karriere nie geklettert, tiefer nie gesunken.
In einem Videotelefonat meldet sich Stefánsson aus Reykjavík, aus seiner Heimat Island. Dort lebt er bei seiner Schwester. Zwei Zimmer, 80 Quadratmeter. Das Gesicht ist kantiger, die Züge sind härter als auf den alten Fotos, auf denen er mit den Sharks posiert, mit den Haifischen, wie er die korrupten Geschäftspartner damals taufte. Nichts an seinem Auftreten verrät, dass er seine Tage grösstenteils im Bett verbringt seit dieser Sache. Keine fünf Jahre ist es her, dass er ausgestiegen ist und die Partner fürchteten, er könne sie verraten.
Hat ihn damals jemand vergiftet? Stefánsson hat keine andere Erklärung dafür, dass sein Körper ihm fremd geworden ist. Sein Arzt ist ratlos. Es kostet ihn Disziplin, aufzustehen für ein, zwei Stunden, um am Computer zu sitzen. «Ich sehe Sie gerade wie durch einen Schleier, doppelt», sagt er ganz am Ende.
Grösster Korruptionsskandal in Island und Namibia
Dann lacht er ein kurzes trockenes Lachen. Stefánsson, pleite, krank und trotzdem optimistisch, lacht dieses Lachen auch manchmal über sich selbst, über die, die hinter ihm her sind, und über das, was ihn erwartet: eine grosse internationale Ehrung, Lobrede und Preisgeld ein paar Tage nur nach dem Gespräch. Und in Zukunft eine Gefängniszelle vielleicht. Egal, sagt er, das sei es wert gewesen. «Ich tue das für die Leute in Namibia.»
Stefánsson schildert Szenen aus seinem alten Leben. Die Ansage des Kollegen zum Beispiel: «Wenn der Minister bezahlt werden möchte, dann bezahlst du den Minister.» Die Sporttasche voller Banknoten. Eine Million Namibische Dollar, knapp 60’000 Euro, für den Schwiegersohn des Ministers. So ging es los.
Und so endete es: Der Minister im Gefängnis, der Schwiegersohn auch, und fünf andere Sharks dazu. Der grösste Korruptionsskandal in der Geschichte Namibias. Der grösste Korruptionsskandal auch in der Geschichte Islands.
Es ist die Geschichte des isländischen Fischereikonzerns Samherji, der nach Namibia zog, um, wie der einstige Samherji-Mann Stefánsson sagt, «die Ressourcen eines afrikanischen Landes zu plündern». Und es ist die Geschichte des Jóhannes Stefánsson, der zuerst Täter war und dann zum Whistleblower wurde. Der Fischereikonzern Samherji bestreitet, dass es eine solche Plünderung gab.
Stefánsson hat durch seine Arbeit in Namibia die reiche Beute Samherjis in den Fischgründen des Landes erst möglich gemacht. 2007 hatte er bei Samherji angefangen. Die Firma war dabei, zu einem der grössten Fischereikonzerne Europas aufzusteigen. 2011 landete er in Namibia.
Die Gewässer vor Namibia sind reich an Makrelen. Um die Ausbeutung der Reichtümer des Landes durch ausländische Firmen zu verhindern, gibt es Gesetze, die vorschreiben, dass Fischfangquoten nur an mehrheitlich namibische Firmen gehen. Als Direktor der Namibia-Geschäfte Samherjis war es sein Job, seiner Firma Zugang zu diesen Quoten zu verschaffen. Die Samherji-Manager versprachen potenziellen Partnern in Namibia «viele Arbeitsplätze», ebenso den Bau von Kühlhallen, Trockenfischfabriken oder auch Fischläden.
«Es wurde immer klarer: Sie wollten alles rausholen, nichts in Namibia lassen.»
Anfangs, sagt Stefánsson, sei er nur «auf dem Beifahrersitz» gesessen und habe sich von erfahreneren Kollegen darin einweisen lassen, wie man «Beratungsgebühren» für Mittelsmänner auszahlt. Und wie man die in Namibia verdienten Gelder ausser Landes lenken kann über Netzwerke von Samherji-Tochterfirmen auf Zypern, Mauritius und in Namibia. Bald sah er sich selbst mit einer Sporttasche voller Bargeld zum Schwiegersohn des Fischereiministers laufen, der dafür sorgte, dass Samherji neue Fangverträge bekam, und zwar weit unter dem Marktpreis, wie Ermittler herausfanden.
«Ich dachte anfangs: Aha, so macht man also hier Geschäfte», sagt Stefánsson. «Ich fand es nicht gut, aber ich wollte loyal sein.» Von 2014 an seien die Zweifel grösser geworden: «Es wurde immer klarer: Sie wollten alles rausholen, nichts in Namibia lassen.» Nicht den Fisch und nicht das damit verdiente Geld.
Es halfen die Sharks, die Haifische. Allen voran Fischereiminister Bernhard Esau, Justizminister Sacky Shanghala und der Direktor des Nationalen Fischereiunternehmens Fishcor, James Hatuikulipi. Samherji war grosszügig, lud die Namibier auch nach Island ein, wo sie den Samherji-CEO Thorsteinn Már Baldvinsson trafen und mit Schneemobiltouren und Clubbesuchen unterhalten wurden.

Als Stefánsson Samherji im Jahr 2016 verliess – nicht ohne zuvor fast 40’000 E-Mails, Memos und Kontoauszüge von den Firmenservern auf seinen Laptop zu laden –, da hatten die Haifische mehr als zehn Millionen US-Dollar erhalten: Schmiergeld, sagt der Staatsanwalt in Windhuk, der Hauptstadt Namibias. Und als Jóhannes Stefánsson das Ganze Ende 2019 als «Fishrot»-Affäre auffliegen liess, in Kooperation mit Wikileaks, da waren der namibischen Finanzaufsichtsbehörde FIC zufolge insgesamt umgerechnet 560 Millionen Euro an verdächtigen Geldern geflossen.
In Island hat die Affäre eingeschlagen. Es ermittelt der Staatsanwalt. Auf der Liste der Tatverdächtigen steht Firmenchef Thorsteinn Már Baldvinsson. Und Jóhannes Stefánsson, der Whistleblower. Die Affäre hat die Isländer schockiert. «Wir hatten Einschaltquoten von fast 50 Prozent», sagt Helgi Seljan, einer der Reporter hinter der «Fishrot»-Doku («Fishrot» wie fauliger Fisch), die der öffentlich-rechtliche Sender RÚV Ende 2019 zeigte. «Es schauten mehr zu als damals bei den Panama-Paper-Enthüllungen.»
Fischereikonzern diffamiert den früheren Mitarbeiter
Und es gab irritierende Reaktionen. Von Islands Finanzminister Bjarne Benediktsson etwa, der in einem TV-Interview schnell die «Wurzel des Problems» identifiziert hatte: «die schwache und korrupte Regierung» von Namibia. Über die Verantwortung Samherjis kein Wort.
Samherji selbst feuerte Medienmitteilungen und Youtube-Videos ab. Darin zeichnen sie den früheren Angestellten Stefánsson als Trinker und Drogenabhängigen sowie als kriminelles Genie, der sämtliche Straftaten ganz allein begangen habe. Samherji spricht von einem «persönlichen Rachefeldzug» Stefánssons. Viele Leute überzeugt das nicht. Eine landesweite Umfrage ergab, dass 92 Prozent aller Isländer glauben, die Firma habe bestochen.
Stefánsson sagt, die Verleumdungen machten ihm nicht viel aus. Andere Dinge schon mehr. Sein Erspartes ist weg. Arbeiten geht nicht, seit er das erste Mal zusammenbrach, in Südafrika im Dezember 2016. Er berichtet von Drohungen und Angriffen, nachdem er die Firma verlassen und befreundeten Namibiern Insiderinformationen über die unsauberen Geschäfte weitergeleitet hatte.
Der Whistleblower glaubt, er sei damals vergiftet worden. Sein Leben jedenfalls ist seither ein anderes. Bis heute kann er nur bestimmte Dinge essen: Avocado, Gurke, einzelne Käsesorten. In einem Attest schreibt Stefánssons isländischer Arzt, dass er eine Vergiftung nicht ausschliesst und dass er eine Behandlung ausserhalb Islands anrät, da auf der Insel die Expertise fehle.
In Island gibt es seit Anfang des Jahres ein Whistleblower-Gesetz – zu spät für Stefánsson, der davon nicht profitieren wird. In Namibia haben sie ihm Straffreiheit zugesichert, aber in Island wird er wohl als Mitangeklagter vor Gericht stehen. Dem Prozess in Namibia fiebert er entgegen. «Zufrieden werde ich erst sein, wenn das von Samherji ausser Landes gebrachte Geld zurückgeflossen ist nach Namibia.»
Stefánsson setzt grosse Hoffnungen auf die medizinische Behandlung, die er in Deutschland erhalten wird. Allein deshalb, weil er die Kraft braucht, um nach Windhuk zu reisen, und dort vor Gericht als Zeuge aufzutreten. «Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.»
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