Tiefrote ZahlenNeuer Swiss-Chef erwägt Verkleinerung der Airline
Die Swiss erlebt einen so schlechten Winter, dass ihr CEO Dieter Vranckx heute die Mitarbeiter auf noch gröbere Einschnitte einstellt.

Als wären die tiefroten Zahlen für die Angestellten der Swiss am Donnerstag nicht schon genug an schlechten - wenn auch nicht überraschenden - Neuigkeiten gewesen: Jetzt müssen sie auch hochoffiziell um ihren Job zittern. Der neue CEO der Fluggesellschaft Dieter Vranckx stellt das Vorhaben seines Vorgängers Thomas Klühr, keine Massenentlassungen durchzuführen, infrage.
Der schweizerisch-belgische Doppelbürger tat das an der eineinhalbstündigen Online-Medienkonferenz nicht wortwörtlich. Aber seine Aussagen lassen den Schluss zu, dass solche Szenarien zumindest eine Möglichkeit sind: «Die Swiss wird eine stärkere Redimensionierung prüfen müssen als bislang vorgesehen. Eine allfällige Verkleinerung der Flotte würde sich auch auf das Streckennetz, die Kosten- und Organisationsstruktur auswirken», sagt Vranckx an seinem ersten öffentlichen Auftritt als Swiss-Chef.
Was das im Detail bedeuten würde und welcher Anteil der Belegschaft betroffen wäre, wenn eine Flottenreduktion auch zu Entlassungen führen sollten, lässt er offen. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. Auch wann sie fallen soll, ist nicht klar.
Zweitgrösster Verlust der Geschichte
Die Swiss ist offensichtlich in einer so ungemütlichen Situation, dass sie keine andere Wahl hat, als sich auch mit Dingen zu befassen, die sie bisher mit aller Kraft verhindern wollte. Bis auf ihr Gründungsjahr 2002 war finanziell keines so schlecht wie 2020: Der Verlust beträgt 654 Millionen Franken, wie die Airline am Donnerstag mitteilte. Der Umsatz ist um zwei Drittel auf 1,85 Milliarden eingebrochen.
Wenn es nur das wäre, könnte sich die Swiss mit den schon länger bekannten Sparmassnahmen begnügen: 1000 Stellen will sie bis Ende 2021 über sozialverträgliche Massnahmen wie einen Einstellungsstopp, Teilzeitmodelle mit Lohnverzicht und frühzeitige Pensionierungen von der Lohnliste streichen. 10 055 Angestellte hatte sie Ende 2020. Das sind 500 weniger als ein Jahr zuvor. Bleibt die Fluktuation so hoch, erreicht die Swiss dieses Sparziel.
Zudem hat sie sich mit dem Bodenpersonal und der Kabine – nicht aber mit den Piloten – auf Sparübungen geeinigt. Und auch die oberen Führungsebenen müssen ihren Teil dazu beitragen: Dort reduziert die Swiss die Mitarbeiterzahl um 20 Prozent.
«Natürlich haben die Entwicklungen in den nächsten Monaten auch einen Einfluss auf die Entscheidung über eine Verkleinerung der Swiss»
Seit Jahresbeginn jedoch habe sich die Ausgangslage massiv verschlechtert, sagte Vranckx. Grund dafür seien vor allem die restriktiven Einreisebedingungen allenthalben wegen der Virusmutationen und des langsamen Impffortschritts. Wie diese Zeitung letzte Woche geschrieben hat, hat sich die Swiss diesbezüglich beim Bundesrat beklagt.
So fliegt sie von Genf aus im Moment nur Zürich und Frankfurt an. Im Februar flog die Swiss teilweise weniger als 10 Prozent des Flugplans von 2019. Eine andere Kennzahl, die verfügbaren Sitzplatzkilometer, fiel gegenüber dem Vergleichszeitraum auf rund 20 Prozent. Im März soll sie immerhin wieder auf 25 Prozent steigen. Für das dritte Quartal hofft die Swiss gar auf 65 Prozent. Sie drängt deshalb auf einen international koordinierten digitalen Impfpass.
So oder so habe sie noch genug liquide Mittel bis ins nächste Jahr hinein, sagte Finanzchef Markus Binkert. Dann plane man, wieder Geld einzunehmen und mit der Rückzahlung des Kredites zu beginnen. Vom 1,5 Milliarden schweren Bankkredit, für den der Bund grösstenteils bürgt, seien noch rund zwei Drittel übrig. Aktuell verliert die Swiss rund zwei Millionen Franken am Tag.
Ein stabilisierender Faktor hierfür ist die Kurzarbeit, die für einen grossen Teil der Belegschaft beantragt wurde. Es ist gut möglich, dass Bundesbern in den nächsten Wochen die Kurzarbeit über die bisherige Maximaldauer von anderthalb Jahren hinaus verlängert. Das würde bedeuten, dass die Swiss und zahlreiche andere Firmen bis im Frühjahr 2022 davon profitieren könnten.
Gewerkschafterin zeigt Verständnis
Doch davon will Vranckx die Entscheidung über die Verkleinerung der Airline gar nicht abhängig machen. «Die Kurzarbeit ist nur ein Mittel, um den Mittelabfluss kurzfristig zu verringern», sagte er. Die allfällige Restrukturierung sei dagegen auf einen langfristigen Zeitraum über 2021 hinaus angelegt.
Vom zu Beginn der Pandemie kommunizierten Vorhaben, in wenigen Jahren wieder auf 100 Prozent des Vorkrisenvolumens zurückzukehren, habe man nämlich Abstand genommen. «Es wird strukturell weniger Nachfrage nach Geschäftsreisen geben», erklärte Vranckx. «Auch wir benutzen Computerprogramme wie Skype oder Microsoft Teams – und das geht leider nicht mehr weg. Wir müssen uns an diese Realität anpassen.»
So richtig will Sandrine Nikolic-Fuss, Präsidentin der Kabinenpersonal-Gewerkschaft Kapers, das Vranckx nicht abnehmen. «Natürlich haben die Entwicklungen in den nächsten Monaten auch einen Einfluss auf diese Entscheidung», sagt sie. Genau das sei der Grund für das Zögern der Geschäftsleitung. «Ich habe allerdings Verständnis dafür. Wenn Vranckx jetzt Entlassungen verkünden würde und der Sommer danach bombastisch wäre, würde man ihm grosse Vorwürfe machen.»
Änderung: In einer früheren Version dieses Artikels stand, Dieter Vranckx drohe mit einer Verkleinerung der Airline. Richtig ist, dass Vranckx nicht droht, sondern die Verkleinerung erwägt.
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