Sanders trifft das Rückgrat der Demokraten
Bernie Sanders sieht hinter Joe Bidens Comeback das Establishment am Werk. Dabei waren dafür die Afroamerikaner und Frauen verantwortlich.

Es ist eine gefällige Erklärung, die sich Bernie Sanders und seine Anhänger nach den Vorwahlen des Super Tuesday zurechtgelegt haben. Das «Establishment» sei der Grund dafür, dass nicht mehr der linke Senator an der Spitze der demokratischen Präsidentschaftsbewerber steht, sondern Joe Biden.
Die Wall-Street-freundliche Elite der Partei – die «Corporate Democrats» – habe sich mit aller Macht hinter den früheren Vizepräsidenten gestellt, sagte Sanders diese Woche. Unterstützt werde Biden dabei von den grossen Medienhäusern, die schlecht über ihn berichteten. «Es gibt eine massive Anstrengung, Bernie Sanders zu stoppen», sagte der 78-Jährige. «Das wirtschaftliche Establishment und das politische Establishment kommen gegen uns zusammen, und sie werden vor nichts zurückschrecken.»

Bei seinen Verbündeten klingt es oft noch schriller. «Das ist ein Coup», twitterte die frühere Präsidentschaftskandidatin Marianne Williamson, die inzwischen Sanders unterstützt. Anhänger des Senators verbreiten Tweets mit Hashtags wie #EstablishmentJoe und klagen darüber, dass Biden von immer mehr Offiziellen und Funktionären der Partei Wahlempfehlungen erhält.
Diese Erklärung hat einen wahren Kern: Es ist unbestritten, dass sich der überwiegende Teil der Führung der Demokratischen Partei viel eher mit Biden als Präsidentschaftskandidaten arrangieren könnte als mit Sanders. Und es ist auch unbestritten, dass es in den Medien in den vergangenen Wochen einige hysterische Kommentare über Sanders gab. Beim linken TV-Sender MSNBC verglich der inzwischen zurückgetretene Moderator Chris Matthews den Vormarsch des Senators mit der Eroberung Frankreichs durch die Nazis.
Angezählt auf der Matte gelegen
Nach dem Super Tuesday haben dagegen viele Medien Sanders' Lesart von Bidens Comeback übernommen. «Das Establishment schlägt zurück», lautete eine Überschrift in der «Los Angeles Times» und in mehreren anderen Titeln. Das klingt einleuchtend – doch es ist eben auch ein Stück weit irreführend.
Die – zumindest vorläufige – Wende brachte für Biden sein überwältigender Sieg bei der Vorwahl in South Carolina am vergangenen Wochenende. Zu diesem Zeitpunkt war seine Kampagne fast pleite, die Berichterstattung über seinen Wahlkampf war über mehrere Wochen negativ bis vernichtend gewesen. Wäre Biden ein Boxer, er hätte angezählt auf der Matte gelegen. Wieder auf die Beine gestellt haben ihn die schwarzen Wähler in South Carolina, die ihm zu einem Triumph verhalfen. Sie spielen in dem Bundesstaat die entscheidende Rolle – und sie gaben ihm mit einer überwältigenden Mehrheit ihre Stimme.
Auch nach diesem Ergebnis nahm sich Bidens Wahlkampfkasse im Vergleich zu jener seiner Rivalen leer aus, und es blieb ihm in den 72 Stunden bis zum Super Tuesday auch gar keine Zeit mehr, um in den vielen Bundesstaaten noch einen ernsthaften Wahlkampf zu organisieren. Trotzdem gewann Biden selbst in Staaten wie Massachusetts und Minnesota die meisten Stimmen, in denen er keinen einzigen Wahlkampfauftritt absolviert hatte. Er siegte auch in Texas, wo sich Sanders' Kampagne damit brüstete, dass sie dort viel mehr Geld investiert hatte als Biden. In Texas waren es nach den Erhebungen vor allem die Wähler in den Vororten, die dem früheren Vizepräsidenten ihre Stimme gaben, und darunter besonders die Frauen.
Wähler sind selbstbestimmt
Afroamerikaner, Wähler in den Vororten, Frauen: Das ist nicht das «Establishment» der Demokraten, wie Sanders behauptet, sondern vielmehr das Rückgrat der Partei. Es sind jene Leute, die jeder demokratische Bewerber braucht, wenn er die Nominierung gewinnen will, und es sind jene Leute, die den Demokraten schon im Herbst 2018 dabei halfen, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu erobern.
Dass dieser Teil der demokratischen Basis in sehr grosser Zahl an die Urne ging, um für Biden einzulegen, sagt nach dieser Woche weniger über das «Establishment» der Partei aus, sondern mehr über die verbreitete Angst des moderaten Fussvolks, mit dem selbsterklärten Sozialisten Sanders gegen Donald Trump antreten zu müssen. Sicher hat der Rückzug der Bewerber Pete Buttigieg und Amy Klobuchar Biden geholfen, moderate Wähler hinter sich zu scharen. Doch diese Entscheidung trafen die Wähler schon selbst.
Feind sitzt nicht in eigener Partei
Sanders' Problem ist, dass er seine eigene Basis gegenüber seiner letzten Kandidatur nicht verbreitern konnte. Er sicherte sich zwar mehr Stimmen bei den Latinos, er gewann auch diesmal wieder die Mehrheit junger Wähler, doch insgesamt schnitt er vielerorts durchwegs schlechter ab als vor vier Jahren, als er gegen Hillary Clinton angetreten war.
Der 78-Jährige, der als Unabhängiger politisiert, hatte sich nach seinem erfolgreichen Start in die Vorwahlen auch gar nicht bemüht, andere Teile der Demokraten anzusprechen. Statt Mässigung im Ton: voller Angriff. Das mag gegen Clinton besser funktioniert haben, die auch bei vielen Demokraten unbeliebt war. Doch nun, da Trump Präsident ist, sitzt der Feind für viele nicht in der eigenen Partei, sondern im Weissen Haus. «Die demokratischen Wähler», so das Fazit des linksliberalen Magazins «Atlantic», «mögen ihr Establishment ganz gut.»
----------
Podcast «Entscheidung 2020»
Hören Sie sich die neuste Folge des Podcasts «Entscheidung 2020» mit USA-Korrespondent Alan Cassidy und Philipp Loser auch auf Spotify oder iTunes an.
----------
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch