Russischer Oppositionschef Seine Haftzeit könnte sich um weitere 15 Jahre verlängern
Alexei Nawalny ist in ein neues Straflager verlegt worden, wo härtere Haftbedingungen gelten. Zudem droht ihm ein weiteres Strafverfahren wegen Extremismus.

Alexei Nawalny ist unfreiwillig umgezogen, seine Bücher hat er mitgenommen. In Plastiksäcken habe er sie in den Gefangenentransporter geschleppt, schreibt der Oppositionelle mit seinem üblichen Humor auf Instagram. «Ich war beinahe kaputt», so Nawalny, dabei habe er schon 50 Bücher der Gefängnisbibliothek gespendet. Nawalny ist in ein Straflager für Wiederholungstäter verlegt worden, mit deutlich härteren Bedingungen.
Bisher hatte der russische Oppositionschef in Pokrow eingesessen, 120 Kilometer östlich von Moskau. Als ihn einer seiner Anwälte dort besuchen wollte und am Montag nach Nawalny fragte, sagte man ihm: «Es gibt keinen solchen Gefangenen hier.» Weder seine Anwälte noch seine Familie wussten von Nawalnys Verlegung. «Solange wir nicht wissen, wo Alexei ist», schrieb Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch auf Twitter, «ist er allein mit dem System, das schon einmal versucht hat, ihn umzubringen.»
Weniger Besuche, Pakete und Briefe
Nun ist Nawalny in der Strafkolonie 6 in Melechowo wieder aufgetaucht, das liegt weiter im Osten, mehr als doppelt so weit von Moskau entfernt. Nicht nur deswegen wird es nun schwieriger, ihn zu erreichen: In Melechowo dürfen Gefangene deutlich seltener Besuch empfangen, Pakete oder Briefe erhalten. Während die Gefangenen in Pokrow in Schlafsälen untergebracht werden, können sie in der Strafkolonie «mit strengem Regime» auch in Einzelzellen gesteckt werden. Für Regelverstösse drohen härtere Strafen.
Nawalny ist seit seiner Rückkehr nach Moskau mit Strafprozessen regelrecht überzogen worden. Im Januar 2021 wurde er zu zweieinhalb Jahren verurteilt, weil er gegen eine alte Bewährungsauflage aus einem schon damals politisch motivierten Fall verstossen haben soll. Seit Juni 2021 gelten Nawalnys Organisationen als «extremistisch», viele seiner Unterstützer verliessen das Land. Im März 2022 kam ein weiteres Urteil dazu: neun Jahre Gefängnis unter härteren Haftbedingungen, weil Nawalny angeblich Spendengelder veruntreut haben soll. Der Oppositionelle durfte nicht mal für den Prozess die Strafkolonie verlassen, stattdessen wurde dort ein provisorischer Gerichtssaal eingerichtet – selbst in Russland gilt das als aussergewöhnlich.

«Die Weltraumreise geht weiter – ich habe das Schiff gewechselt», schreibt Nawalny nun auf Instagram. Laut der russischen Zeitung «Kommersant» werden in der neuen Strafkolonie Uniformen hergestellt. Die Zeitung schreibt aber auch, dass dort 2018 und 2019 zwei Häftlinge gestorben seien, einer offiziell an Lungenentzündung, der andere soll sich umgebracht haben. Im ersten Fall hatten Angehörige über Misshandlungen berichtet, der zweite Gefangene hatte vor seinem Tod über Folter geklagt.
«Apropos Gesetzlosigkeit», schreibt Nawalny. Er habe Aushänge über die Berufe gesehen, die man in der Strafkolonie erlernen könne: «Man kann wie ich eine Näherin werden – diese Elite der Arbeiterklasse, die sofort eine Leinennaht von einer Nähnaht unterscheiden kann», scherzt er. Doch nicht nur Näherinnen, sondern auch «Panierer für Geflügelstücke» erhielten im Knast drei Monate Ausbildung, schreibt Nawalny und fragt, wozu. «Rollen sie diese Kadaver etwa in Strasssteinen?»
Flammende Rede gegen Putins Krieg
Während er versucht, seinen Humor nicht zu verlieren, droht ihm das nächste Verfahren. Ende Mai schrieb er selbst, er werde nun auch noch wegen Extremismus angeklagt, dafür drohen bis zu 15 Jahre. Den Prozess im Frühjahr nutzte er für eine flammende Rede gegen Putins Krieg in der Ukraine, der in Russland nur «militärische Spezialoperation» genannt werden darf. «Dieser Krieg ist zu hundert Prozent auf Lügen aufgebaut», sagte er. «Wir haben gerade vierzig Millionen Menschen genommen und erklärt: ‹Das sind Nazis!›, und fingen an, sie zu bombardieren. Was sollten sie tun, damit man sie in Ruhe lässt?» Womöglich hat Nawalny damit schon die nächste Anklage riskiert.
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