Sprenzel unter den «Bösen»Selbst aus zwei Metern sieht keiner, dass er ein Schwinger ist
Konrad Steffen ist der kleinste und leichteste Eidgenosse – aber keine leichte Beute. Weil er etwas anders macht als seine Gegner und sich an Fussballern orientiert.

Es sieht ein wenig komisch aus. Als würde ein Schwer- mit einem Leichtgewichtsboxer in den Ring steigen. Am Brünig-Schwinget vor zwei Jahren schwingt Patrick Räbmatter gegen Konrad Steffen. In Zahlen bedeutet das: 190 gegen 176 Zentimeter. Und vor allem: 150 gegen 85 Kilo. Im Vergleich mit dem Hünen aus der Nordwestschweiz ist der Emmentaler eine halbe Portion. Er wehrt sich zwar mit Kräften, verliert das ungleiche Duell aber trotzdem.
Und doch ist Steffen im Sägemehl keine leichte Beute. 15-mal Eichenlaub hat er sich erkämpft, 2021 entschied er den Chemihütte-Schwinget in Aeschiried für sich. Vor allem aber gewann er in Pratteln den Kranz, womit er zur Gilde der 62 aktiven Eidgenossen gehört. Er ist der Kleinste und klar Leichteste unter den «Bösen», gerade mal deren vier wiegen weniger als 100 Kilo.
«Bei mir sieht auch aus zwei Metern Entfernung niemand, dass ich ein Schwinger sein könnte.»
Auf den ersten Blick passt der 28-Jährige also so gar nicht in diesen exklusiven Zirkel. Er sagt denn auch: «Bin ich mit meinen Schwingerkollegen unterwegs, falle ich etwas aus dem Rahmen. Bei mir sieht auch aus zwei Metern Entfernung niemand, dass ich ein Schwinger sein könnte.» Dass Steffen in den Trainingslagern der Berner Mannschaft jeweils ins Zimmer mit dem kürzesten Bett einquartiert wird, überrascht kaum.
Wie ein Stürmer im Fussball
Er sei schon immer ein «Spränzu» gewesen, erzählt Konrad Steffen. Für seine Grösse könne er nichts, und mehr Gewicht sei seiner Leistung nur bedingt förderlich. Die Stärke des Routiniers ist die Ausdauer, mit Fortdauer eines Gangs wird er für gewöhnlich stärker. Steffen sagt, er sei wohl einer der ganz wenigen Schwinger, bei denen wöchentlich eine längere Jogging-Einheit auf dem Programm stehe.
Mit seiner Postur erinnert er an seinen Cousin Damian Gehrig (178 cm, 78 kg), der 2016 in Estavayer sensationell den eidgenössischen Kranz holte und zugab, nicht genug in den Kraftbereich zu investieren und wohl zu wenig zu essen. Steffen wiederum sagt, er werde nie die Gardemasse der 20 besten Berner Schwinger haben, «ich kann keinen Gegner einfach wegdrücken, dafür fehlt mir die Kraft». Im Training richtet er den Fokus denn auch vorab auf die Schnellkraft.
«Steht mir ein 190 Zentimeter grosser und 130 Kilo schwerer Schwinger gegenüber, wird es für mich extrem schwierig, schon beim Greifen fühle ich mich da unwohl», sagt Steffen. Seine Statur habe er akzeptieren gelernt, es sei sein Antrieb, das Beste daraus zu machen. Und so vergleicht er sich mit einem Stürmer beim Fussball: «Wenn ich eine klitzekleine Chance habe, wenn der Gegner nur ein bisschen wankt, dann muss ich sofort zuschlagen.»
Eine Familie mit lauter Schwingern
Am Eidgenössischen in Pratteln ging die Taktik auf: Fünf Siege, ein Gestellter sowie die Niederlagen gegen Nick Alpiger und Armon Orlik – mit dem Kranzgewinn verblüffte Steffen viele, auch sich selbst. Er sagt, er habe kaum glauben können, «diesen Cheib» gewonnen zu haben. Neben dem Innerschweizer Matthias Herger war er der einzige Turnerschwinger, der mit Eichenlaub dekoriert wurde. Athleten mit weisser Hose und weissem Shirt werden immer seltener, was der Emmentaler bedauert. «Als Turner fällst du sofort auf, und das weisse Outfit verleiht dem Wettkampf etwas Festliches. Gerade im Hochsommer ist es zudem ein Vorteil, weil man weniger schwitzt als im Edelweisshemd.»

Steffen stammt aus einer Schwingerfamilie. Seine jüngeren Brüder Gustav und Valentin gehören ebenfalls zum Berner Kader, die Zwillinge schafften es am Eidgenössischen in den Kranzausstich. Auch die Cousins Loris und Patrick steigen regelmässig in Zwilchhosen, vier seiner Onkel waren Kranzschwinger, und Vater Ueli holte einst zehnmal Eichenlaub. Nun präsidiert er den Schwingklub Sumiswald, diese Talentschmiede sondergleichen.
Gleich neun Athleten qualifizierten sich fürs Eidgenössische, die breite Spitze ist die Folge einer langjährigen Aufbauarbeit. Sumiswald war einer der ersten Vereine, die einen Konditionstrainer beschäftigten, es wurden Trainingslager organisiert und viele Franken in die Nachwuchsförderung investiert. In den Einheiten ist hohes Niveau garantiert – vorab die innerfamiliären Duelle prägt eine besondere Rivalität.
Er dachte ans Aufhören
Steffens Ziel in dieser Saison ist, sich zu etablieren. Will heissen: konstante Leistungen zeigen, den einen oder anderen Kranz gewinnen. Der Eidgenossen-Status bringt eine neue Situation mit sich, der Berner dürfte härter eingeteilt und generell stärker beachtet werden, zu hohe Erwartungen sind kaum angebracht. Nach Pratteln ging Steffen über die Bücher, er hörte in sich hinein und überlegte gar, auf dem möglichen Höhepunkt zurückzutreten. Einen guten Monat lang schwankte er, «aber ich schwinge nach wie vor zu gerne, bin nicht bereit, den Schlussstrich zu ziehen».
Und so bleibt sein Programm weiter streng. Der gelernte Schreiner, der sich zum Holzbauingenieur hat weiterbilden lassen, ist einer der wenigen Eidgenossen, die Vollzeit arbeiten und ohne jeglichen Sponsor dastehen. Während seine stärksten Gegner wöchentlich sieben Einheiten absolvieren, trainiert er höchstens drei- oder viermal. Es passt zu Steffen, diesem etwas anderen Schwinger.
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