Architektur in GraubündenSie bauen für den Alltag im Bergtal
Ein junges Architekturbüro schreibt die Baukultur im Bergell fort. Die lokale Bevölkerung und die Geschichte des Tals spielen dabei eine zentrale Rolle.

In der letzten Haarnadelkurve der Passstrasse, die über den Maloja ins Bergell führt, steht die Talstation der Albigna-Seilbahn. Ein schlichtes Gebäude aus Blech und Beton, das nicht sonderlich auffällt. Doch im Werk des Architektentrios Alder Clavuot Nunzi nimmt es eine besondere Stellung ein: Es war dieser Bauauftrag, der 2014 zum Entschluss führte, sich längerfristig im Bergell niederzulassen.
Zuvor hatten Matthias Alder und Alessandro Nunzi bereits zwei Wohnhäuser im Tal gebaut. Die geringe Praxiserfahrung kompensierten die beiden ETH-Absolventen mit der Nähe zu den Baustellen, indem sie kurzerhand von Zürich nach Soglio zogen. Ihr Büro richteten sie provisorisch im Keller eines Wohnhauses ein. «Da wir täglich vor Ort waren, konnten wir vom Wissen der Handwerker profitieren, die uns anfangs sehr viel beigebracht haben», erzählt Alder.

Als das Planerwahlverfahren für die Albigna-Seilbahn anstand, hatte man im Tal bereits Notiz genommen von den jungen Architekten. Zusammen mit Silvana Clavuot gelang es ihnen, einen Ausdruck für das Gebäude zu finden, der die Jury überzeugte. «Die Stationen der Albigna-Seilbahn widerspiegeln in gewisser Weise die Mentalität des Bergells und seiner Bewohner», resümiert Nunzi. «Das Bauwerk weist pragmatische und ehrliche Charakterzüge auf.»
In erster Linie hatte die Seilbahn dem Unterhalt der Albigna-Staumauer zu dienen. Die rauen Betonsockel der beiden Stationen zeugen von den Kräften, welche die Seilführung verursacht. Ein industrielles Blechgewand umhüllt die technischen Anlagen. Indem die Talstation ihren Mantel seitlich auffaltet, nimmt sie die Wanderer in Empfang und führt sie über eine Treppe in einen hohen Aufenthaltsraum. Schmale Lichtschlitze und elegante Leuchten verleihen dem Innenraum eine beinahe sakrale Wirkung.

Inzwischen ist in fast jeder Ortschaft des Tals ein Bau des jungen Trios zu finden. Oft sind es subtile Gesten, die ihre Arbeit von anderen Bauten unterscheiden: Das Einfamilienhaus am Rande von Vicosoprano bildet mit seiner Stellung quer zum Talboden einen klaren Abschluss der Siedlungsstruktur. Bei der Casa Carnella in Soglio führte die sorgfältige Analyse der Umgebung zu einem hangseitigen Zugang, wo die Familie das Haus über eine kleine Brücke betritt.

Andere Projekte sind mit der jüngeren Geschichte des Tals verknüpft. So bedurfte es aufgrund der Fusion der sieben Ortschaften zu einer einzigen Gemeinde eines grösseren Werkhofs in Vicosoprano. Als das Büro mit dieser Aufgabe betraut wurde, stand bereits fest, wo dieser zu liegen kommen würde. «Die Parzellen für die öffentlichen Nutzungen sind so verteilt worden, dass heute über den Werkhof spazieren muss, wer im Dorfladen ein Brot kaufen möchte», bemerkt Alder. Darauf reagierte das Team mit einem Augenzwinkern: «Wir haben den Recyclinghof zu einem alternativen Dorfplatz ausgeweitet, mit ausreichend Raum, um einen kurzen Schwatz abzuhalten.»

Das malerische, vom Tourismus geprägte Tal braucht Räume, wo sich der Alltag der lokalen Bevölkerung abspielen kann. Auch bezahlbaren Wohnraum zu finden, ist für die Einheimischen in letzter Zeit schwieriger geworden. Ein gewisses Potenzial bieten die leer stehenden Ställe in den Ortszentren. «Doch damit aus einem Stall ein Zuhause werden kann, braucht es eine Transformation», ist Nunzi überzeugt.
Behördliche Vorgaben, die ein unverändertes Erscheinungsbild anstreben, stellen eine Herausforderung dar. Anders als ein Stall benötigt ein Wohnhaus ein Treppenhaus und eine Adresse. Hinweise auf eine solche Nutzungsänderung finden sich rund um die Casa Boscaia in Castasegna. Dort schützt ein neuer Balkon den Eingangsbereich vor der Witterung und erweitert den darüberliegenden Wohnbereich. Markante Tür- und Fensterrahmen prägen die Nordfassade, und eine rote Sonnenstore schiebt sich bei Bedarf zwischen das Wohnzimmerfenster und die alten Holzbretter in der Fassade.

Der Wille der drei Architekturschaffenden, das Tal mitzugestalten, geht über die Weiterentwicklung der örtlichen Baukultur hinaus: Während sich Alder in zahlreichen Vereinen engagiert, ist Nunzi inzwischen Mitglied der Baukommission – das Bergell ist längst zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden. Ihr Büro haben sie inzwischen im Schulhaus von Soglio eingerichtet. Aufgrund der demografischen Entwicklung stand dieses längere Zeit leer. Jetzt herrscht darin wieder eine kreative Atmosphäre und im ehemaligen Handarbeitszimmer türmen sich die Modelle.
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