Schutz vor TerrorStaatsgelder für den Synagogen-Schutz reichen nirgends hin
Erst seit kurzem bezahlt die Schweiz Anti-Terror-Massnahmen von Synagogen und Moscheen. Doch Bundesrätin Keller-Sutter soll bereits eine Aufstockung der Mittel planen.

Bis vor kurzem tat der Schweizer Staat so, als gehe ihn die Sicherheit seiner 18’000 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger nichts an.
Seit Jahrzehnten geben die jüdischen Gemeinden immense Summen für die Sicherheit ihrer Synagogen, Schulen und Altersheime aus – und mussten dies selber zahlen. Wann immer sie um staatliche Hilfe baten, schoben sich Bund und Kantone gegenseitig die Verantwortung zu. Doch nachdem 2015 in Paris islamistische Terroristen einen Anschlag auf einen jüdischen Laden verübt hatten, konnte der Bund nicht länger wegschauen. Das Parlament zwang den Bundesrat per Motion zum Handeln.
Keine Beiträge an laufende Sicherheitskosten
Im Oktober 2019 erliess der Bundesrat eine neue Verordnung: Gestützt darauf zahlt er neu Unterstützungsgelder für die Sicherheitsmassnahmen von «Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen». Doch jetzt, nur zwei Jahre nach diesem Paradigmenwechsel, stellt sich bereits die Frage, ob dieses Bundesengagement genügt.
Denn der Bundesrat hat den Finanzrahmen auf nur eine halbe Million Franken pro Jahr limitiert. In den Jahren 2020 und 2021 wurde diese Summe ausgeschöpft. Und beide Male überstiegen die Gesuche betroffener Institutionen das Gesamtbudget deutlich.
Und 2022 wird es wieder so sein. Ende Juni lief die Frist für Finanzgesuche für das kommende Jahr ab. 15 Institutionen erbitten vom Bund total rund eine Million Franken für Sicherheitsmassnahmen – doppelt so viel Geld also, wie zur Verfügung steht. Das teilt das zuständige Bundesamt für Polizei (Fedpol) auf Anfrage mit. Deshalb müssten die Gesuche nun «nach den Kriterien der Dringlichkeit, Qualität und Effizienz priorisiert werden», schreibt Fedpol.
Für das Jahr 2022 stammen 4 der 15 Gesuche von muslimischen, 11 von jüdischen Einrichtungen.
Verschärft wird der Wettbewerb um die knappen Geldmittel, weil nicht nur die Juden, sondern auch andere religiöse Minderheiten und theoretisch sogar nicht religiöse Gruppierungen anspruchsberechtigt sind. Voraussetzung ist, dass sie «einer Bedrohung durch Angriffe im Zusammenhang mit Terrorismus oder gewalttätigem Extremismus ausgesetzt» sind. So hat 2020 erstmals auch eine Moschee Subventionen erhalten (lesen Sie hier mehr darüber).
Für das Jahr 2022 stammen bereits vier der total 15 Gesuche von muslimischen Institutionen, die übrigen elf von jüdischen Einrichtungen.
Allerdings beteiligt sich der Bund nur an technischen und baulichen Sicherheitsmassnahmen, etwa Panzertüren oder Überwachungskameras. Keine Beiträge leistet er an die laufenden Sicherheitskosten, etwa die Löhne des Wachpersonals.
Was versprach Keller-Sutter den Juden?
Jetzt fasst Justizministerin Karin Keller-Sutter jedoch eine markante Ausweitung der Bundeshilfe ins Auge: Das jedenfalls sagt Ralph Lewin, der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Die jüdische Zeitschrift «Tachles» zitiert Lewin mit folgenden Worten: Der Bund habe dem SIG signalisiert, er prüfe eine Erhöhung der Beiträge. Zudem habe das Departement Keller-Sutter angekündigt, «nun auch das leidige Thema der laufenden Sicherheitskosten an die Hand zu nehmen und Wege zu finden, wie man im Rahmen der bestehenden Gesetze staatliche Beiträge dafür einsetzen könne».

Keller-Sutters Medienstelle reagiert äusserst defensiv auf Lewins Aussagen. Sie mag seine Aussagen weder bestätigen noch dementieren. Das Departement schreibt lediglich, man werde noch in diesem Herbst eine erste Evaluation der Verordnung vornehmen. Bei SIG-Präsident Lewin klingt das schon viel konkreter. Schon in «naher Zukunft» hoffe man auf konkrete Lösungsvorschläge, sagte er laut «Tachles» – und stützte sich dabei offenbar auf ein Gespräch mit Keller-Sutter persönlich.
Als der Bundesrat 2019 seine Verordnung erliess, setzte er auch die Kantone unter Druck. Wörtlich schrieb er damals: «Damit ist auch die Erwartung verbunden, dass die Kantone Leistungen in gleicher Höhe erbringen.» Diese Erwartung haben die meisten der Kantone mit bedeutenden jüdischen Gemeinden inzwischen erfüllt. Eine Pionierrolle nahm dabei der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr ein. Er sorgte dafür, dass der Kanton Zürich rasch eigene Geldmittel sprach. Auch die Städte Zürich und Winterthur beteiligen sich mittlerweile an den Sicherheitskosten jüdischer Einrichtungen in ihrem Zuständigkeitsbereich.
Der Kanton, der nicht zahlt
Die Berner brauchten etwas länger. Im April 2020 erliess der Berner Regierungsrat eigens eine kantonale Verordnung für die Gewährung von Finanzhilfen an bedrohte Minderheiten. Auch die Stadt Biel unterstützt die örtliche Synagoge. Bisher noch nichts bezahlt hat die Stadt Bern. Inzwischen gebe es aber auch bei der Stadt Bern die Bereitschaft, der jüdischen Gemeinde zu helfen. Man sei diesbezüglich mit den Stadtbehörden «in einem guten Dialog», sagt Michel Ronen, Vizepräsident der Jüdischen Gemeinde Bern.
Die Jüdische Gemeinde Bern hat nur 330 erwachsene Mitglieder, muss laut Ronen jährlich aber einen mittleren fünfstelligen Betrag für ihre Sicherheit aufwenden – ein Kostenblock, den katholische oder reformierte Kirchgemeinden nicht kennen. Am meisten tut der Kanton Basel-Stadt für den Schutz der Juden. 2020 hat er über 600’000 Franken für Schutzmassnahmen bewilligt – und zudem auf eigene Kosten acht bewaffnete Sicherheitsassistenten angestellt.
Nur ein Kanton tanzt aus der Reihe. Der Kanton Genf (der die nach Zürich zweitgrösste jüdische Gemeinde beherbergt) zahlt aus Prinzip nicht für ihre Sicherheit. In jüdischen Kreisen wird kolportiert, Genfer Offizielle hätten dies damit begründet, dass der Kanton per Kantonsverfassung zur Laizität verpflichtet sei. Diese Zeitung fragte direkt beim Genfer Sicherheitsdepartement von Mauro Poggia (MCG) nach den Gründen. Doch das Departement ging in seiner schriftlichen Antwort gar nicht erst auf diese Frage ein.
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