ZSC-Stürmer Marcus KrügerStill und leise macht er alle besser
Der Schwede in Zürcher Diensten ist der erfolgreichste Akteur auf Schweizer Eis. Öffentlich wahrgenommen wird er jedoch kaum – das stört sogar seine Gegner.

Es gibt ein gutes Beispiel, um zu illustrieren, wie still sich Marcus Krüger durch seine ganze Karriere manövriert. In seinem 2017 erschienenen Buch beschreibt Journalist Mark Lazerus die Erfolgsgeschichte der Chicago Blackhawks zwischen 2010 und 2015 mit drei Stanley-Cups. Zu Wort kommen viele, viele Spieler, Coachs, Betreuer, Barkeeper, Krethi und Plethi – nicht aber Krüger, Stürmer in immerhin zwei Champion-Teams.
Der Schwede schmunzelt, als er darauf angesprochen wird. Er kennt den Buchautor persönlich, scheint ihm aber nicht böse zu sein. Krüger hört auf Feedback, wenn es zum Beispiel von Vater Peter kommt, der sich jedes seiner Spiele am Bildschirm anschaut. «Aber ich brauche keine Anerkennung von aussen», sagt der 31-jährige Mittelstürmer. «Ich fühlte mich in Chicago im Team immer respektiert, und das ist das Wichtigste.»
Ähnliches gilt auch in der Schweiz. Egal, ob sich Mitspieler oder Gegner äussern, es tönt so oder ähnlich: Der Schwede sei der ultimative Teamplayer. Einer sagt, es sei Zeit, dass einer wie Krüger in den Fokus rücke. Denn dort stand er auch in bald drei Jahren ZSC nie. Dieses Gespräch sei sein erstes Interview in der Schweiz, bestätigt Krüger.
Wie macht man einen wie ihn greifbar?
Was zeichnet ihn aus? Nicht die Skorerwerte: 27 Punkte (8 Tore) in 43 Spielen sind nicht schlecht, aber alles andere als bemerkenswert für Ausländer, die in der Schweiz meist nur anhand ihres offensiven Outputs bewertet werden. Sein Palmarès als zweifacher NHL-Champion, der auch WM-Gold und Olympia-Silber gewann, machen ihn zum erfolgreichsten Spieler der National League, doch auch das macht den Spieler Krüger nicht greifbar. Wenn Trainer «die kleinen Dinge» betonen, die Krüger richtig mache, oder Mitspieler sein «Game Management» loben, tönt auch das so abstrakt wie ein früherer Center und heutiger Coach, der sagt: «Den Millionen-Sponsoringvertrag mit Nike kriegen in der NHL andere, die Topskorer. Gewinnen tust du aber mit Spielern wie Krüger.»
Wer aber in den Analytics wühlt, findet etwas Besonderes zu Krüger: Jeder ZSC-Stürmer, der diese Saison neben ihm spielte, hatte bessere persönliche Werte, als wenn er Teil einer Linie ohne ihn war. Jeder einzelne.
Krügers beste Szenen kommen kaum in TV-Highlights, sie sind häufig ohne Puckbesitz und unspektakulär und sehen zum Beispiel so aus:
Krüger verbessert seine Mitspieler also nicht vorwiegend mit Offensivtaten, sondern mit der Stabilisierung des Spiels. Krüger ist, auch das wird von den Analytics belegt, jener ZSC-Stürmer, mit dem auf dem Eis am wenigsten Torgefahr gegen den ZSC herrscht.

Wie seine Wirkung auf das von spielstarken Akteuren geprägte Zürcher Ensemble sein kann, merkte man vielleicht auch letzte Woche gegen Zug, als Krüger verletzt fehlte und die Lions vom spiel- und laufstarken Gegner phasenweise zerzaust wurden. Ein Coach eines anderen Schweizer Teams nennt Krüger den Typ Center, den er am liebsten aufs Eis schicke, wenn er das Spiel beruhigt und die Ordnung wiederhergestellt haben möchte.
Er bewunderte die Stars – aus anderen Gründen
Wie wurde Krüger zum Spieler, der er heute ist? Er wuchs in Stockholms Vorort Huddinge auf, unter Bedingungen, die sich für eine Dokumentation eignen würden, warum in Schweden mehr junge Eishockeyaner rekrutiert werden als in der Schweiz: Direkt neben Krügers Schule war eine der vielen Eishallen, «und alle Jungen verbrachten jede freie Minute dort», erzählt er.
Er begann als Verteidiger, wurde bald Center, seine Vorbilder waren schwedische Weltstars wie Forsberg, Sundin oder Zetterberg. Er bewunderte sie aber für ihre Fähigkeit, auch die defensive Drecksarbeit im Repertoire zu haben: «Es gefiel mir, wie Zetterberg eine ganze NHL-Finalserie lang Crosby in Schach halten musste.»
«Handball ist eine der ehrlichsten Sportarten – und eine der attraktivsten zum Schauen.»
Wie bei Spielern mit ausgeprägter Spielintelligenz häufig, betrieb Krüger als Jugendlicher diverse Sportarten und interessiert sich bis heute noch für alles Mögliche – er gilt im Team als Sportfreak. Besonders Handball hat es ihm angetan. Einerseits, weil seine Verlobte Malin früher aktiv spielte, andererseits, «weil es eine der ehrlichsten Sportarten ist – und eine der attraktivsten zum Schauen». Während der EM versuchte Krüger seine diesbezüglich ahnungslosen kanadischen Linienkollegen Quenneville und Azevedo für Handball zu begeistern – ohne Erfolg.
Krüger bewegte sich fast immer unter dem Radar. Als er 2009 von Chicago in der 5. Runde gedraftet wurde, interessierte das kaum jemanden, da in jenem Jahr sieben Schweden in Runde 1 gezogen wurden. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit war Krüger aber schon zwei Jahre später Stammspieler bei Chicago. Natürlich in einer rein defensiven Rolle. Der eher introvertierte Schwede lernte von der Führungsgruppe rund um Superstar Jonathan Toews eine Diskussionskultur kennen, die ihm neu war: «Man war sehr ehrlich und direkt, teilweise artete das fast schon aus.» Krüger lernte und wuchs, in Zürich gehört er in der Garderobe zu jenen Spielern, die auch verbal Kritik anbringen.
Krüger kam als schlechter Bullyspieler zu den Blackhawks. Er hatte noch nie etwas von spezifischem Training gehört. Assistenzcoach Yanic Perreault, bester Bullyspieler der NHL-Geschichte, lehrte ihn Tricks und Kniffe. Krüger war ein guter Schüler: Er ist heute nicht nur in der Schweiz unangefochten bester Bullyspieler, er war kürzlich auch in Peking bei Olympia die Nummer 1.
Krüger hat dabei einen Tick, der selbst Mitspieler amüsiert: Er reinigt, wie ein Curler mit dem Besen, vor jedem Anspiel den Bullypunkt mit seinem Stock. «Das ist Routine und nicht etwa eine Zwangsstörung», sagt Krüger. Einzelne Gegenspieler nützen dies aber für psychologische Mätzchen: Mit Zugs Tschechen Jan Kovar zum Beispiel liefert er sich seit vielen Jahren an Weltmeisterschaften und nun auch in der Schweiz vor jedem Bully ein nicht enden wollendes Schauspiel, das jeweils erst der Referee mit dem Puckeinwurf unterbindet: Der eine (Kovar) schaufelt so viel Eis wie möglich auf den Bullypunkt, der andere (Krüger) wischt es wieder weg.
Der Abschied in die Heimat
Das Playoff steht vor der Tür, es soll die Zeit werden, in der Krügers Einfluss beim ZSC noch grösser wird. Es ist seine letzte Chance, um auch in der Schweiz einen Titel zu holen. Denn es steht fest, dass er im Sommer zu seinem Heimatclub Djurgarden zurückkehren wird. Weil die Familien Krügers und seiner Verlobten dort leben. Weil er in Stockholm mit vielen früheren Freunden in einem Team wird spielen können. Und weil Krüger mithelfen will, den Club, der eine sportliche Baisse erlebt, wieder besser zu machen. So, wie er bei den Lions derzeit alle besser macht. Der ZSC wird ihn vermissen, es dürfte auf Sportchef Sven Leuenbergers Agenda weit oben stehen, einen Typ Krüger zu finden.
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