Verzicht auf MaskenpflichtStreit um Masken wird heftiger
Für die Bevölkerung gilt weiterhin keine Maskenpflicht. Der Entscheid des Bundesrats ruft Kritik aus der SVP hervor – und Applaus vom Pflegepersonal.
Eine Maskenpflicht im Supermarkt oder im ÖV? Was in Teilen Europas Realität ist, wird es in der Schweiz bis auf weiteres nicht geben. Das hat Alain Berset am Donnerstag klargemacht. Das Tragen einer Maske bleibe lediglich für Kranke sowie beispielsweise für das Personal im Gesundheitsbereich empfohlen, nicht aber für gesunde Menschen. «Masken sind aber auch nicht verboten, wir hindern niemanden daran», so der Gesundheitsminister.
«Ohne Pflicht wird die Öffnung viel länger dauern und der Schaden für die Wirtschaft noch grösser.»
Die Strategie des Bundesrats ist umstritten. Die SVP etwa bezeichnet sie als «mutlos». «Ohne Pflicht wird die Öffnung viel länger dauern und der Schaden für die Wirtschaft entsprechend noch grösser», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Es gibt im Parlament aber auch andere Stimmen. Ruth Humbel (CVP) geht davon aus, dass sich die einzelnen Branchen selber organisieren werden. «Es gibt keine Maskenpflicht. Das heisst aber nicht, dass das Maskentragen in gewissen Situationen nicht Sinn machen würde», sagt die Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission. Der Bundesrat seinerseits erwartet von den Branchen Schutzkonzepte. Vor allem bei personenbezogenen Dienstleistungen wie Physiotherapiepraxen oder Coiffeursalons geht Berset von einer faktischen Maskenpflicht aus.
Bund verstärkt Bemühungen
Weniger klar sind die Vorgaben etwa für den öffentlichen Verkehr. Bis zur zweiten Etappe der Öffnung am 11. Mai muss der ÖV ein Schutzkonzept haben. Dann öffnen die obligatorischen Schulen wieder, und es sind wieder mehr Leute unterwegs. Der Bundesrat hat das Verkehrsdepartement beauftragt, mit der betroffenen Branche bis am 29. April ein solches Konzept zu erarbeiten. Ob die Arbeiten in eine Empfehlung oder gar in eine Pflicht zum Tragen von Masken münden werden, ist indes noch offen. Auf Masken setzen würde jedenfalls die Gastronomie, die nach wie vor nicht weiss, wann sie ihre Tore wieder öffnen kann. Der Branchenverband Gastrosuisse hat ein Schutzkonzept erarbeitet. Dabei sollen Serviceangestellte Masken tragen, wenn sich die Distanzregeln nicht einhalten lassen.
Für Kritiker wie Aeschi zeigt sich indes immer deutlicher, dass Bundesrat und Verwaltung für den Fall einer Pandemie schlecht vorbereitet seien. Noch immer seien die zuständigen Ämter bei der Beschaffung von Schutzmasken und anderem Schutzmaterial in Rückstand, so der SVP-Politiker. Der Bund hat seine Bemühungen inzwischen aber verstärkt. Bis Ende Mai will er ungefähr 400 Millionen Masken – vor allem in China – einkaufen, wie diese Zeitung am Donnerstag berichtet hat. Man arbeite auch mit der Schweizer Industrie eng zusammen, um eventuell wiederverwendbare Stoffmasken zu entwickeln, sagte Berset. Diese müssten aber wirklich schützen. «Es gibt sehr viel Innovation in diesem Bereich.»
«Zuerst muss sichergestellt sein, dass es genügend Schutzmaterial für vulnerable Menschen und die Pflegefachleute gibt.»
Auf Masken wartet Yvonne Ribi sehnlichst. Noch immer seien diese Mangelware, gerade im ambulanten Bereich und in Alters- und Pflegeheimen, sagt die Geschäftsführerin des Berufsverbandes der Pflegefachleute. «Etliche Betriebe ordnen aus diesem Grund an, den ganzen Tag die gleiche Maske zu tragen.» Wenn jetzt auch noch Spitäler und Kliniken die Operationstätigkeit wieder aufnähmen, werde dies die Nachfrage zusätzlich anheizen. Deshalb nimmt Ribi den Entscheid des Bundesrates, keine Maskenpflicht einzuführen, wohlwollend zur Kenntnis: «Zuerst muss sichergestellt sein, dass es genügend Material für den Schutz von vulnerablen Menschen und die Pflegefachleute gibt.»
In einem Papier zuhanden des Bundes bezifferte die ETH unlängst die notwendige Anzahl Masken auf bis zu 360 Millionen Stück, sofern die Covid-19-Pandemie in der Schweiz 90 Tage dauere. Berset räumte ein, es sei nach wie vor schwierig, viele Masken zu bekommen. Auch sei nicht alles so umgesetzt worden, wie es der Pandemieplan des Bundes vorsehe. Der SP-Bundesrat versicherte aber: «Für eine nächste Pandemie sind wir sicher besser gewappnet.»
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