Schweizer Tourismus vs. Risikolisten«Sonst ist das der Killer der Wintersaison»
Sollte das Reisen weiter durch Quarantänelisten verkompliziert werden, stünde ein ganz schwieriger Winter bevor. Wie Touristiker das Problem lösen wollen, haben sie am Montag dem Bundesrat mitgeteilt.

Der Corona-Sommer 2020 hat vielen Schweizer Feriendestinationen – abgesehen von den Städten – gute und teilweise rekordhohe Besucherzahlen beschert. Im Tessin und in Graubünden sind einige Hoteliers gar so euphorisiert, dass sie entschieden haben, ihre Tore länger offen zu lassen und die Sommersaison zu verlängern.
Die Tourismusverbände und die Politik planen jedoch schon den Herbst und, finanziell noch wichtiger, den Winter: Am Montagabend trafen sich die Bundesräte Simonetta Sommaruga, Alain Berset und Guy Parmelin in Bern mit den Vertretern von 11 Tourismusverbänden zum dritten Tourismusgipfel. Das Ziel: den Puls der Industrie zu fühlen und zu erfahren, welche Massnahmen für erfolgreiche nächste Monate nötig sind.
Am augenfälligsten war dabei die Forderung nach «offenen Grenzen», wie einer Medienmitteilung der Branchenorganisation Schweizer Tourismus-Verband zu entnehmen ist. «Risikolisten und ständig ändernde Reiserestriktionen in Form von Quarantänevorschriften bei der Einreise haben negative Auswirkungen auf den Schweizer Tourismus», steht dort.
«Wie die Schweiz letzte Woche in Grossbritannien innert weniger Stunden auf die Liste der Risikoländer gesetzt wurde, ist nicht in Ordnung.»
Damit meinen die Branchenvertreter allerdings keine unbeschränkte Reisefreiheit im Schengen-Raum, wie sie in Prä-Corona-Zeiten existiert hatte. Vielmehr wollen sie ihren Gästen die grösstmögliche Planungssicherheit bieten: «Wie die Schweiz letzte Woche in Grossbritannien innert weniger Stunden auf die Liste der Risikoländer gesetzt wurde, ist nicht in Ordnung», sagt Andreas Züllig, Präsident von Hotelleriesuisse und am Gipfel mit dabei. Die verschiedenen Länder hätten ganz unterschiedliche Kriterien, wann und wie schnell sie für Einreisende aus gewissen Ländern eine Quarantäne anordnen.
Zum Beispiel kommt ein Land auf die britische Liste, wenn dort innert sieben Tagen 20 Fälle auf 100’000 Einwohner aufgetreten sind. Für die Schweizer Liste dagegen liegt der Grenzwert bei 60 Fällen auf 100’000 Einwohner während 14 Tagen. «Dieser Flickenteppich schafft Unsicherheit, und die ist Gift fürs Reisen», sagt Züllig. «Darum haben wir vom Bundesrat gefordert, dass er hier mit den wichtigsten Quellmärkten für Touristen eine Harmonisierung anstrebt.»

«Ich habe manchmal das Gefühl, dass jedes Land unabgesprochen entscheidet, uns auf eine Quarantäneliste zu setzen», sagt auch Gastro-Suisse-Präsident Casimir Platzer. Er befürchtet: «Wenn das so weitergeht, dann ist das der Killer der Wintersaison.» Eine Sprecherin des Bundesamts für Gesundheit (BAG) schreibt dazu: «System und Kriterien der Quarantäneliste bleiben vorderhand so bestehen. Ob Anpassungen nötig sind, wird sich mit der weiteren Entwicklung in den kommenden Tagen und Wochen zeigen.»
Corona-Tests am Flughafen
Für den Fall, dass die Fallzahlen in Europa weiter ansteigen und sich die Länder weiterhin gegenseitig auf Risikolisten setzen, hilft allerdings auch Koordination nichts: Wer sowohl im Zielland als auch nach der Rückkehr im Heimatland in Quarantäne muss, verzichtet wohl auf eine Reise. Darum haben die Touristiker eine andere Idee: «Wir haben dem Bundesrat den Vorschlag gemacht, dass er ein Modell ausarbeiten soll, mit dem Gäste aus Risikoländern bei der Einreise am Flughafen auf Corona getestet werden», sagt Damian Constantin, Präsident der Tourismusdirektorenkonferenz. Ähnliches hatten vergangene Woche schon die Fluggesellschaft Swiss und der Flughafen Zürich ins Spiel gebracht – auch sie leiden unter jeder neuen Reisebeschränkung.
«Man könnte diese Modelle speziell für Gäste aus wichtigen Quellmärkten wie Belgien oder Grossbritannien anwenden», führt Constantin aus. Allerdings kommen und gehen viele Wintertouristen nicht auf dem Luftweg, sondern auf der Strasse, wo ein solches Regime deutlich schwieriger aufzuziehen wäre. Hinzu kommt, dass ein einzelner Test nicht reicht, um eine Infektion mit Sicherheit auszuschliessen. Sollten zwei Tests innert weniger Tage gefordert sein, wären Logistik und Überwachung ein Albtraum. Letzte Woche lehnte das BAG allerdings eine Regelung noch ab, die mittels Tests eine Quarantäne verkürzen oder ganz obsolet machen würde. Doch scheint hier das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Aufgrund all dieser Unsicherheiten wagt denn auch noch kaum jemand eine Prognose für den Winter. Wie Gespräche mit mehreren Destinationen zeigen, buchen die Gäste aktuell sehr spontan, weswegen Angaben zum Buchungsstand zumindest für den Winter wenig aussagekräftig seien. Für den Herbst dagegen geben sich viele Destinationen vorsichtig optimistisch. So sagt zum Beispiel Flurin Riedi, Direktor von Gstaad Saanenland Tourismus: «Grundsätzlich erwarten wir ein analoges Buchungsverhalten wie im Sommer, weshalb wir davon ausgehen, dass je nach Wetter noch viele kurzfristige Buchungen generiert werden können.»

Eine Ausnahme in der allgemeinen Unsicherheit ist Jürg Schmid, Präsident von Graubünden Ferien. An einer Hotelier-Konferenz versprühte er vergangenen Donnerstag gute Laune: «Wenn die Corona-Fallzahlen im Rahmen bleiben, sind die Chancen für einen guten Winter – für einige sogar einen Rekordwinter – intakt.» Der Grund dafür seien neue Gäste: «Jene, die normalerweise nach Mauritius, Thailand oder Australien davonstürmen, sobald die erste Schneeflocke fällt.» Diese würden sich aber nicht mit Schneesport allein zufriedengeben – die Destinationen müssten ihre Angebote in den Bereichen Wellness, Gastronomie oder Kultur hervorstreichen, sagte Schmid.
Après-Ski wird im Winter dagegen wohl nicht boomen. «Ich gehe davon aus, dass es in der kommenden Skisaison eine Veränderung geben wird», sagt FDP-Ständerat Hans Wicki, der als Präsident von Seilbahnen Schweiz einen Überblick über die Skigebiete im Land hat. «Ein Unternehmer in einem Skigebiet überlegt sich zweimal, ob er eine Partymeile entlang der Skipisten installieren soll, wenn er riskiert, als zweites Ischgl abgestempelt zu werden.»
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