
Es fällt schwer, dem Jahr 2022 etwas Positives abzugewinnen. «Zeitenwende» nannte es der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, «annus horribilissimus» (sehr schreckliches Jahr) hätte dazu wohl die verstorbene Queen gesagt. Grund für diese düstere Jahresbilanz ist der russische Überfall auf die Ukraine im Februar. Seit zehn Monaten spürt die ganze Welt die Auswirkungen dieses Krieges. Millionen Menschen fliehen; es ist die grösste Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Als Russland ausserdem den Gashahn zudrehte, schnellten die Energiepreise in die Höhe und lösten eine Inflation aus, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben. Ob Strom und Gas in diesem Winter in ausreichender Menge fliessen werden, ist ungewiss. Dunklere und kühlere Wohnzimmer sind deshalb das Gebot der Stunde. Niemand weiss, wie sich der Krieg entwickeln wird, und niemand will sich vorstellen, was passieren könnte, sollte sich der Krieg auf benachbarte Staaten ausweiten.
Die Jahre 2020 und 2021 haben uns der vermeintlichen Gewissheit beraubt, dass das Zeitalter von Epidemien dank moderner Medizin für immer vorüber sei. Heute, an der Schwelle zu 2023, müssen wir feststellen, dass in der Schweiz auch Wohlstand und Friede nicht mehr garantiert sind. Angesichts dieser Bilanz fällt es schwer, für die Zukunft Zuversicht zu finden. Bei näherer Betrachtung gibt es – zumindest in der Schweiz – aber durchaus Grund dazu. So gestaltet sich etwa die Aufnahme der Zehntausenden Geflohenen als rasch und unkompliziert, die Hilfe vor Ort war grosszügig. Nichts deutet darauf hin, dass die Solidarität mit den Opfern des Krieges nachlassen könnte.
Wir müssen die Energie vermehrt im Inland produzieren.
Positiv stimmt ferner, dass die Preisturbulenzen auf den Energiemärkten und die drohenden Versorgungsengpässe nicht zu Panik geführt, sondern vielmehr ein grundsätzliches Umdenken in Gang gesetzt haben. Zu sorglos haben wir uns in der Vergangenheit darauf verlassen, dass uns die Autokraten in Arabien und in Russland verlässlich mit Öl und Gas versorgen. Bereits in der Corona-Krise haben wir schmerzlich erfahren müssen, wie riskant es ist, wenn die Versorgung mit wichtigen Gütern vom Wohlwollen weniger Exportländer wie etwa China abhängt. Wollen wir wieder mehr Zuverlässigkeit, müssen wir die Energie vermehrt im Inland produzieren. Die Schweiz hat das erkannt und 2022 rasch die ersten Schritte dazu eingeleitet. Zum Beispiel mit der forcierten Bewilligung von Solaranlagen auf Hausdächern oder dem Bau riesiger alpiner Fotovoltaikanlagen oder grosser Windparks. Inzwischen beginnen wir zu realisieren, dass es kein Komfortverlust ist, die Häuser etwas weniger zu heizen und nachts nicht jede Strassenlampe leuchten zu lassen. Wenn wir das auch weiterhin tun, schonen wir künftig nicht nur die Umwelt, sondern tragen zu einer stabilen Versorgung bei.
Erfreulich ist schliesslich, dass es der Schweiz auch 2022 gelungen ist, über Antworten auf die Krisen in bewährter demokratischer Manier zu diskutieren und schliesslich breit abgestützte Lösungen zu finden. Die Demokratie ist, wie die Ereignisse des Jahres beweisen, alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Sie ist ein Wert, für den man sich einsetzen muss. In erster Linie, indem man sein Wahl- und Stimmrecht nutzt. Zum Beispiel in sechs Wochen, wenn über die Zusammensetzung von Kantons- und Regierungsrat entschieden wird, oder im Herbst, wenn die eidgenössischen Wahlen anstehen. Der «Zürcher Unterländer» wird diese Wahlen und die anderen demokratischen Entscheide journalistisch begleiten, damit Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, eine eigene Meinung bilden können. Für Ihre Treue im zu Ende gehenden Jahr danken wir Ihnen und wünschen allen einen friedlichen Start ins Jahr 2023.
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Leitartikel zum Jahreswechsel – Trotz Krieg und Krisen besteht Grund zu Zuversicht
Das von Krieg und Krisen gekennzeichnete Jahr 2022 hat uns vor Augen geführt, wie gefährdet Versorgungssicherheit und Wohlstand der Schweiz sind. Aber auch, dass es ihr gelungen ist, Antworten auf die neuen Herausforderungen zu finden.