Sturm auf das CapitolTrumps Sündenregister nach fünf Anhörungen
Die bisherigen Hearings haben gezeigt, wie Donald Trump gezielt diverse Möglichkeiten ausprobierte, um an der Macht zu bleiben. Das Justizdepartement versuchte er als Kampagnenorganisation zu missbrauchen.
Das Sündenregister von Donald Trump hat einen beachtlichen Umfang angenommen in den fünf Anhörungen zum Capitol-Sturm vom 6. Januar 2021.
Die Liste trug am Donnerstag seine ehemalige Parteifreundin Liz Cheney vor, die sich wegen Trumps Putschversuchen von ihm abwandte und den Bruch mit ihrer Partei in Kauf nahm. Sie nahm den Begriff «kriminell» nicht in den Mund, doch er war schon fast hörbar, so sehr schwang er mit jedem ihrer Worte mit.
Trump erklärte am 3. November 2020 fälschlicherweise den Sieg. Auf dieser Basis begannen er und sein Team «eine betrügerische Medienkampagne».
Trump schaltete absichtlich Werbung mit Falschaussagen, von denen er wusste, dass sie nicht der Wahrheit entsprachen.
Trump «sammelte auf betrügerische Weise Geld» – basierend auf den falschen Vorwürfen von Wahlbetrug.
Trump versuchte, die Republikaner in den Parlamenten mehrerer Bundesstaaten zu überreden, das Wahlresultat in ihrem Staat nicht anzuerkennen.
«Jeder Schritt bedingte Planung und Koordination, einige benötigten bedeutende Geldmittel. Und all das hat Präsident Trump beaufsichtigt», fasste Cheney zusammen: Da hat einer wohlüberlegt und mit viel Geld einen Plan durchgezogen – einen kriminellen Plan, der gegen die Verfassungsordnung der Vereinigten Staaten gerichtet ist. (Lesen Sie auch den Kommentar: «Wie Wahrheit zur Fiktion wird»)
Eine gespannte Ernsthaftigkeit lastete auf dem fünften Hearing vom Donnerstag, wie schon bei den vier vorangegangenen. Der Ausschuss des Abgeordnetenhauses zeichnete ein mit fortschreitender Dauer stets beklemmenderes Bild, wie Trump das Justizdepartement als Filiale seiner Kampagnenorganisation zu missbrauchen trachtete. Nachdem Jeff Rosen am 23. Dezember das Amt des Justizministers übernommen hatte, liess ihn Trump täglich vorladen oder anrufen, um über den angeblichen Wahlbetrug zu sprechen – ausser am Weihnachtstag.
«Unsinn» im Weissen Haus
Besonders surreal wirkte eine Episode, die einen Parlamentarier, Trumps Stabschef, das Justizdepartement, das Verteidigungsdepartement und schliesslich sogar den Verteidigungsattaché in Italien involvierte. Der Abgeordnete Rick Perry schickte Trumps Stabschef Mark Meadows per SMS ein Youtube-Video, auf dem ein angeblicher ehemaliger CIA-Angestellter behauptet, von Italien aus sei ein Satellit manipuliert worden, der Stimmen von Trump zu Biden gewechselt habe. Trumps Stabschef schaltete den Justizminister ein, der seinen Stellvertreter bat, sich das 20-minütige Video anzutun. Der Stellvertreter, Richard Donoghue, bezeichnete es als «offensichtlichen Unsinn», wie er an der Anhörung sagte.

Trotzdem insistierte Meadows, der Justizminister solle den Verschwörungstheoriker zu einem Treffen empfangen; der Mann arbeite mit Trumps Kampagnenanwalt Rudy Giuliani zusammen. Der Justizminister weigerte sich. Schliesslich stellte sich heraus, dass Trump unterdessen seinen Verteidigungsminister geheissen hatte, in Italien anzurufen. Der dortige Verteidigungsattaché wusste dann zu berichten, dass der angebliche Zeuge einer internationalen Geheimdienstverschwörung wegen Datenklaus in Untersuchungshaft sitze.
Die wilde Story von Jeff Clark
Zu wild, um erfunden zu sein, ist auch die Geschichte von Jeff Clark, die bei der Anhörung Jeff Rosen erzählte, sein Vorgesetzter. Clark war ein stellvertretender Generalanwalt, zuständig für Umweltrecht, als ihn Trump plötzlich zu Audienzen im Weissen Haus einlud. Rosen nahm davon erstaunt Kenntnis, als er sein Amt antrat, und pochte auf den Dienstweg, die Strafverfolger des Justizdepartements müssen Unabhängigkeit vom Präsidenten wahren. Bald stellte sich heraus, dass Clark und Trump in eifrigem Kontakt standen – zum Teil ab sieben Uhr morgens und während des ganzen Tages. Clark wartete ständig mit neuen Vorschlägen auf, wie die Wahl zu hintertreiben wäre.
«Er wollte mir wenigstens anbieten, als sein Stellvertreter zu bleiben. Ich hielt das für absurd.»
Das Justizdepartement sollte Untersuchungen einleiten, es sollte Strafanzeige einreichen beim Bundesgericht wegen Wahlfälschung, es sollte einen Brief an das Parlament von Georgia schreiben, es sollte Wahlmaschinen beschlagnahmen, alles, um Zweifel am Wahlresultat zu schüren und dessen Aberkennung zu legitimieren. Als Rosen und sein Stellvertreter Donoghue sich weigerten, wollte Trump sie absetzen und Clark als neuen Justizminister einsetzen. Rosen erfuhr von dem Plan von Clark. «Er wollte mir wenigstens anbieten, als sein Stellvertreter zu bleiben. Ich hielt das für absurd», erzählte Rosen bei der Anhörung unter Glucksen, bei allem Ernst seiner Aussage: Der Präsident hatte einem Minister mit der Absetzung gedroht, weil der sich weigerte, seinen widerrechtlichen Wünschen nachzukommen.
Drohung mit Massenrücktritt
In einer spannungsgeladenen Sitzung kam es am Sonntag, 3. Januar, im Oval Office zum Showdown. Zu diesem Zeitpunkt führte das interne Telefonbuch des Weissen Hauses Jeff Clark bereits als neuen Justizminister auf, wie der Ausschuss herausfand. Trump wärmte zunächst alle längst widerlegten Fälschungsvorwürfe auf. Nach zweieinhalb Stunden fragte Trump, was er noch zu verlieren habe. Donoghue erklärte, welcher Schaden für die amerikanische Demokratie und Trumps Reputation entstünden. Dann drohten Rosen und Donoghue ihrerseits mit dem Rücktritt, und mit ihnen das gesamte Kader des Justizdepartements.
«Wir werden zeigen, dass Donald Trump sich der Gewalt zuwandte. Als all seine anderen Versuche scheiterten, war Gewalt seine letzte Option.»
Schliesslich liess Trump von diesem Teil seines Plans ab – nur um umso intensiver auf Vizepräsident Mike Pence loszugehen und die Demonstration vom 6. Januar zu organisieren. Nun fehlt bei den Anhörungen nur noch die Demonstration, welche der Ausschuss nach einer kurzen Pause ab Mitte Juli angehen will. Seine Ermittler hätten viel neues Material erhalten und auszuwerten, sagte der Vorsitzende, Bennie Thompson.
Fest steht aber bereits: «Wir werden zeigen, dass Donald Trump sich der Gewalt zuwandte. Als all seine anderen Versuche scheiterten, war Gewalt seine letzte Option.» Der Ausschuss will nachzeichnen, dass der Sturm auf das Capitol kein Ausrutscher von einer paar Unverbesserlichen war, sondern ein Gewaltakt, für den Trump alle Voraussetzungen geschaffen, ja den er herbeigeführt hat.
Bereits jetzt scheint das Material eine Strafuntersuchung gegen den vormaligen Präsidenten zu rechtfertigen. Allerdings entscheidet darüber nicht der Ausschuss des Abgeordnetenhauses, sondern das Justizdepartement. Wie es entscheiden wird, ist offen. Es zeigt aber, dass es ernsthaft dahinter geht, trotz der heiklen politischen Ausgangslage: Diese Woche hat es bei einer Razzia in der Wohnung von Jeff Clark alle elektronischen Geräte mitgenommen.
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