Riesenapplaus für ein grandioses Spektakel
Stehende Ovationen und ein sprachloser Ensemble-Chef: So endete am Donnerstag die erste Aufführung des neuen Stücks von Karl’s kühne Gassenschau. Die Musik, die Emotionen, die Bilder und das Spektakel — alles machte den Abend perfekt.

Eine grüne wellige Landschaft mit einem Teichli mittendrin breitet sich vor der Tribüne aus. Ein bisschen klinisch und künstlich und golfplatzähnlich. Das ist die Szenerie am Anfang von «Sektor 1». Und diese Landschaft ist auch der Sektor 1 in einer Gesellschaft der nicht so fernen Zukunft. Des Abfallproblems hat sie sich entledigt, indem sie alles Gebrauchte mit Güselraketen in den Orbit schoss.
Zwei Gruppen bewegen sich in diesem «Sektor 1»: Die vorbildlichen Ökobürger dürfen dort zur Belohnung einen tollen Erlebnistag verbringen, und die gesellschaftlichen Missetäter sind gezwunden, als Strafkolonie Ordnung zu halten.
Wie schnell man vom Vorbild zum gefallenen Mitglied einer strengen Gesellschaft wird, zeigt das Schicksal der Familie Moretti: Eben noch Ökovorbild mit maximaler Punktzahl wird die Patchwork-Familie beim Erlebnistag zu Zwangsarbeit im Sektor 1 verdammt. Ein Feuerchen entfachen reichte aus, um bestraft zu werden. Wodurch sich im Stück freilich die Möglichkeiten für neue Freundschaften eröffnen.
Thematik künstlerisch aktuell
Nach dem Alter und dem Thema Wirtschaft und Globalisierung in den letzten beiden Programmen macht die Gassenschau diesmal Abfall, Ökologie, aber auch Ökowahn zum Thema des Theaters. Wie aktuell diese Thematik in der Kunst derzeit ist, zeigt auch die Manifesta in Zürich: In einem Ausstellungsssaal liegen und stinken derzeit 80 Tonnen lokale Fäkalien in getrockneter Form.
Bei Karl’s kühne Gassenschau stinkt nichts, doch die Bilder und Abfallberge, die im Verlauf des Abends aus der künstlichen grünen Golflandschaft wachsen, wirken gleichwohl bedrohlich und erstaunlich echt. Der Beat der Band, der diese Abfall-Apokalypse begleitet, verstärkt den Eindruck noch, zuweilen tönt die Rockgruppe sehr nach Techno.
Doch wie man es von jeher kennt, kann die Gaukler-Truppe auch anders. Die poetischen Momente sind bei «Sektor 1» zwar weniger häufig eingestreut, doch es gibt sie: im grandiosen Gesang der Mutter Moretti beispielsweise, im Blasmusik-Intermezzo auf Schrott-Instrumenten, beim Geigenspiel des ansonsten bissig-bösen Bewachers Herr Blumer.
Das Spektakel perfektioniert
Von den Stunts und den technischen Spielereien sei an dieser Stelle nichts verraten. Man weiss es: Der Gassenschau-Mitgründer Markus Heller und seine Crew sind Meister des Spektakels, die nichts unversucht lassen. Das ist auch diesmal so: In halb Oberwinterthur wunderte man sich am Donnerstagabend, wo plötzlich dieser schwarze Rauchring am Himmel herkam.
Ein anderes Gründungsmitglied, Ernesto Graf, hatte das Publikum vor der ersten Aufführung begrüsst und gebeten, keine Bilder in den sozialen Medien zu veröffentlichen. Denn noch laufen einige Testvorstellungen (mit Publikum), bevor nächste Woche die offizielle Premiere über die Freiluftbühne geht.
Zwei der Ur-Mitglieder stehen selber auf der Bühne. Brigitt Maag spielt die liebe und leicht vertrottelt wirkende Frau Ida, die dem genialen Herrn Schröder die ideale Assistentin ist beim Retten der Welt. Und Paul Weilenmann gibt den Jüge und ein Stück weit wohl auch sich selber, einen liebenswerten Jungen beim Älterwerden.
Ein Tollkühner ist sprachlos
Weilenmann ist es auch, der sich am Schluss unter tosendem Applaus des begeisterten Publikums bedankt. Dreimal setzt er an und versucht seine Emotionen zu bändigen, doch selbst beim dritten Mal kommt nicht viel mehr heraus als ein «Danke euch vielmals».
Die rund hundert Beteiligten von Karl’s kühne Gassenschau wissen nun: Viel zu korrigieren gibt es in den kommenden Tagen nicht mehr, das Stück überzeugt, so wie es jetzt steht. Zu hoffen ist einzig auf viele so laue Abende wie am Donnerstag.
Erstellt: 10.06.2016, 15:35 Uhr
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