Brüssel präsentiert Corona-ExitstrategieUrsula von der Leyen alleine zu Hause
Die EU-Kommissionschefin drängt die Mitgliedsstaaten beim Ausstieg aus den Corona-Massnahmen zur Koordination. Fraglich, ob sie dabei Gehör findet.

Ursula von der Leyen ist um ihre Aufgabe nicht zu beneiden. Die Kommissionschefin sieht sich in der Corona-Krise mit sehr hohen Erwartungen konfrontiert, hat aber in der Sache wenig zu sagen, denn die Kompetenzen sind bei den EU-Staaten. Ursula von der Leyen hat am Mittwoch ihre sogenannte Exitstrategie vorgestellt: Nach dem Chaos der nationalen Alleingänge zu Beginn der Pandemie soll die EU wenigstens bei der langsamen Rückkehr zur Normalität eine bessere Figur machen.
Die Aussichten sind alles andere als gut. Brüssel kann nur Empfehlungen abgeben und Rahmenbedingungen für den langsamen Ausstieg aus dem Shutdown vorschlagen. Am Ende liegt es alleine im Ermessen der nationalen Regierungen, ob sie sich daran halten oder darum foutieren. Eigentlich wollte Ursula von der Leyen ihre Vorstellungen schon letzte Woche kundtun, wurde jedoch von einzelnen Mitgliedsstaaten zurückgepfiffen. In einigen Hauptstädten gab es Befürchtungen, eine Exitstrategie könnte vor Ostern das falsche Signal setzen, bald sei alles überstanden.
Länder preschen vor
Andere wollten wohl einfach Brüssel die Initiative nicht überlassen. So haben etwa Österreich oder Dänemark für ihre Ausstiegspläne nicht auf Brüssel gewartet und Lockerungen bereits angekündigt. Die Empfehlung der Kommission dürfe nicht missverstanden werden als Signal, dass die Massnahmen schon jetzt abgebaut werden müssten, betonte Ursula von der Leyen. Da die EU-Staaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten und nicht einheitlich intensiv von der Verbreitung des Virus getroffen seien, könne sie keine Massnahme für alle anbieten. Jeder Mitgliedsstaat brauche seinen eigenen Ansatz.
Ursula von der Leyen nannte drei wesentliche Voraussetzungen für den Beginn der Öffnung: Das Virus müsse sich zuerst nachweisbar langsamer verbreiten. Zudem müssten die Kapazitäten in den Spitälern etwa bei den Intensivbetten und den Medikamenten ausreichend sein. Weiter müsse die Möglichkeit garantiert sein, die Ausbreitung des Virus wirksam zu überwachen, etwa mit gross angelegten Testreihen und technischen Hilfsmitteln wie Smartphone-Apps. Die Öffnung müsse in kleinen Schritten und streng kontrolliert erfolgen.
Ursula von der Leyen ist Aushängeschild und bekanntestes Gesicht der EU, aber sie ist nicht die EU und in Brüssel ziemlich alleine zu Hause. Wenn es um die Einführung oder Aufhebung von Massnahmen gegen die Pandemie geht, ist die Macht eindeutig bei den einzelnen EU-Staaten. So ist es in den EU-Verträgen festgelegt. Immerhin klappt es mit der Solidarität jetzt besser als zu Beginn. Deutschland, Österreich oder Luxemburg haben Intensivpatienten aus Italien und Frankreich aufgenommen, Niederländer werden in Belgien und Deutschland gepflegt. Und Ursula von der Leyen will den Streit um Corona-Bonds mit einem neuen Vorschlag für den EU-Haushalt entschärfen, über den Investitionen in Billionenhöhe angestossen werden sollen.
Doch wenn die Mitgliedsstaaten nicht bereit sind zusammenzuarbeiten, ist die Exitstrategie der EU-Kommission wertlos. Dabei schaden sich die Länder selber. Die EU riskiert, den Binnenmarkt nachhaltig zu beschädigen, ihren wichtigsten Trumpf, wenn es um den Neustart der Wirtschaft geht. Es geht um Lieferketten im integrierten Markt, aber auch um das Zusammenleben in grenzüberschreitenden Regionen. «Gute Nachbarn sprechen miteinander», mahnte von der Leyen. So sollen Geschäfte in Grenzregionen abgestimmt wieder geöffnet werden. Manchmal müssen selbst Selbstverständlichkeiten in Erinnerung gerufen werden.
Koordination auch mit der Schweiz
Auch mit Drittstaaten und direkten Nachbarn wie der Schweiz will man sich beim Exit jetzt koordinieren. Das ist zwar bisher nur eine Absichtserklärung. Koordinationsgremium ist aber das Health Security Committee mit den Experten der Mitgliedsstaaten, wo inzwischen ein Schweizer Vertreter auch immer dabei ist. Selbst Ursula von der Leyen erwartet nicht, dass es mit den Kontrollen an den Binnengrenzen in Europa schnell vorbei ist. Und erst in einem zweiten Schritt könnten dann die Einreisebeschränkungen an den Aussengrenzen des Schengen-Raums gelockert werden. Ob die Brüsseler Appelle zur Koordination etwas bewirken, wird sich erst in ein paar Monaten zeigen.
«Ursula von der Leyen ist Aushängeschild und bekanntestes Gesicht der EU, aber sie ist nicht die EU.»
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Ich halte Ursula von der Leyen für eine fähige EU-Kommissionspräsidentin. Sie bittet die EU-Staaten um Koordination in Bezug auf die Weiterbewältigung der Coronakrise. Es ist zu hoffen, dass sie genug Gehör findet. Aber angesichts der rechtsnationalistischen Strömungen, die in weiten Teilen Europa zugenommen haben, dürfte sie einen schwierigen Stand haben. Aber dass es in der EU schon vorher mit Koordination, z. B. auch in der Flüchtlingskrise, nicht klappen wollte, liegt auch ganz stark an den erwähnten Rechtsnationalisten. Sie verdrängen die Geschichte, dass Rechtsnationalismus vom 2. Weltkrieg an zurück gerechnet, kaum je langfristig eine bewährte Sache war. Jetzt erst recht nicht. Ueberheblicher Nationalismus ist vielseitig gefährlich. Europa inkl. die Schweiz muss kapieren, dass eine "Reduitpolitik" keine gute langfristige Lösung wäre. Sei es in Coronazeiten, sei es in der Zusammenarbeit in der Migrationsfrage, Wirtschaft und Oekologie, sei es in der inneren Stärkung Europas. Zerstrittene Kontinente könnten sonst im weiteren auch eine leichte Beute von Grossmächten werden - langfristig (Russland, China u.s.w.).