Starke Firmen profitierenUS-Firmen im Schuldenrausch
Die US-Notenbank hat Firmen das Schuldenmachen leichter gemacht als je und sich selber in die Enge getrieben.

Obwohl die Corona-Krise die US-Wirtschaft in die tiefste Rezession und grösste Massenarbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt hat, sind die Zinsen nicht wie üblich in einer Rezession gestiegen. Vielmehr können sich US-Firmen dank massiven Interventionen der Notenbank Geld zu rekordtiefen Zinsen beschaffen. Unternehmen, deren Überleben fraglich ist, können sich ebenso günstig verschulden wie Amazon, Apple und andere gut finanzierte Multis.
Damit sei die US-Notenbank in eine schwierige Verlierer-Situation geraten, sagt Mohamed El-Erian, Chefökonom der Allianz. «Wenn sie nicht weitermacht wie bisher, untergräbt sie ihre Glaubwürdigkeit und
Wirksamkeit. Doch macht sie weiter, unterstützt sie viele Firmen, die es sicherlich nicht brauchen.»
Bis im Dezember dürfte der Schuldenberg der US-Firmen gemäss den Analysten von JP Morgan um rund 1600 Milliarden wachsen.
In diesem Jahr haben US-Firmen bisher Schulden von 850 Milliarden Dollar gemacht, doppelt so viel wie letztes Jahr. Bis im Dezember dürfte der Schuldenberg gemäss den Analysten von JP Morgan um rund 1600 Milliarden wachsen. Dabei hatte es im März noch nach einer schweren Krise der Kreditmärkte ausgesehen. Als den Finanzakteuren das ganze Ausmass der Pandemie bewusst wurde, verloren Investoren die Nerven und warfen Schuldscheine von US-Firmen en masse auf den Markt, weil sie eine wachsenden Zahl von zahlungsunfähigen Unternehmen fürchteten. Der Index für Unternehmensanleihen sackte in wenigen Tagen um fünf Prozent ab, einer der grössten Rückschläge seit langem.
Doch dann griff Notenbank-Chef Jerome Powell zu unerwartet drastischen Mitteln, die ihm sogar von Präsident Trump – einen Dauernörgler in Sachen Notenbank – Lob einbrachten. Höchst ungewöhnlich kündigte Powell an einem Sonntag an, die Leitzinsen gegen null zu senken. Als die Börsen weiter abstürzten, begann die Notenbank zum ersten Mal in ihrer Geschichte, direkt Schuldscheine von rund 800 Firmen zu kaufen. Ein Schritt, der von zahlreichen Experten als unvereinbar mit dem Mandat der Notenbank gesehen wurde. Doch Powell wollte einen flächendeckende Eingriff, da aus seiner Sicht auch Firmen, die nicht direkt von der Pandemie betroffen waren, unter rasch steigenden Zinsen leiden könnten.
Wallstreet-Banken reiben sich die Hände
Die aufkommende Panik legte sich rasch. Unternehmen und Investoren folgten dem Beispiel der Notenbank. Die einen nahmen Kredite zu rekordtiefen Zinssätzen auf, und die anderen kauften die Schuldscheine querbeet. Auch vom Bankrott bedrohte Firmen wie Marriott, Hilton der Kreuzfahrer Carnival und der Konzertveranstalter Live Nation hatten keine Mühe, trotz hohen Ausfallrisiken günstig Geld aufzunehmen. Powell hatte versprochen, dass er wieder helfen würde, sollte es erneute zu einem Ausverkauf kommen.
Sichere Gewinner der Schuldenmacherei sind die Wallstreet-Banken, wie die jüngsten Quartalszahlen zeigen. Morgan Stanley berichtet von 170 Prozent höheren Einnahmen im Handel mit Unternehmensanleihen, Goldman Sachs verzeichnet ein Plus von 150 Prozent, JP Morgan ein Plus von 120 Prozent, Citibank ein Plus von 70 Prozent und die Bank of America ein Plus von 50 Prozent. Das ist einer der wenigen Lichtblicke für die grossen Finanzinstitute in einer Zeit, in der sie Milliarden-Reserven für die erwarteten Firmen- und Privatkonkurse anlegen müssen.
Notfallhilfe für Zombie-Firmen
Die tiefen Kosten für Kredite halten aber auch Unternehmen am Leben, die sonst Bankrott gegangen wären. Ob sie will oder nicht, schafft die Notenbank so eine neue Generation von «Zombie-Unternehmen», die zwar mit Mühe und Not weitermachen können, aber zu schwach sind zu wachsen und zu investieren. Ob sie einen weiteren Rückschlag der Wirtschaft überstehen, ist fraglich. Zwar glauben die meisten Ökonomen nicht, dass diese Zombies die Wirtschaft nachhaltig schädigen werden, wie dies in Japan in den 1990er-Jahren der Fall war.
Doch die Risiken von zahlungsunfähigen Firmen für die gesamte Wirtschaft sind gemäss der Deutschen Bank stark gewachsen. Sie schätzt, dass sich der Anteil der Zombies an allen US-Unternehmen seit der Finanzkrise von 2008 auf 18 Prozent verdreifacht hat. Weil die Notenbank zugleich auch starke Firmen wie Amazon und Apple unterstützt, bläht sich der Aktienmarkt weiter auf. Der überwiegende Teil der Börsengewinne seit Anfang Jahr geht auf das Konto einer Handvoll von gigantisch grossen und starken Firmen zurück: Apple,
Amazon, Facebook, Microsoft, Google.
Die Folge ist, dass der Graben zwischen den Reichen und der Mehrheit der Bevölkerung weiter aufreisst und eine Serie von unvermeidlichen Firmenkonkursen nur verzögert wird. «Die Notenbank gibt die falsche Antwort auf die Krise, wenn sie Schuldscheine von profitablen und finanzstarken Firmen kauft», kritisiert der ehemalige Notenbank-Mitarbeiter Aaron Klein. Diese Hilfe sei nicht viel anders, als einem Milliardär hundert Dollar zu geben, um sicher zu machen, dass es ihm wirklich gut gehe.
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