Geschäft mit AusschussäpfelnVon der schüchternen Schülerin zur Firmenchefin
Noch vor der Matura haben die 17-jährige Jil Belser und ihr Team gelernt, wie sie ein eigenes Unternehmen zum Erfolg führen können. Sie stellen aus Äpfeln, die nicht in den Grosshandel kommen, Chips her.

Die Erfolgsgeschichte begann mit einem Geschenk: Im Dezember 2019 wünschte sich Jil Belser einen Dörrautomaten zu Weihnachten. Die Apfelchips, die sie damit produzierte, schmeckten auch ihren drei besten Freundinnen. Sie waren knuspriger als die Apfelringe, die man anderswo bekam, und entsprechend beliebt bei den Schülerinnen.
Hier würde die Geschichte enden, hätte sich die Stiftsschule Einsiedeln nicht erstmals am Company Programme von Young Enterprise Switzerland (YES) beteiligt, das Unternehmertum an die Mittelschulen bringt. So wurde aus dem Hobby von Jil Belser ein Miniunternehmen namens The Crunchy Company; die vier Gymnasiastinnen mutierten zur Firmenchefin, Marketingleiterin, Produktverantwortlichen und Finanzchefin.
2200 Franken Startkapital
Durch den Verkauf von Partizipationsscheinen an Freunde und Bekannte beschafften sich die Jungunternehmerinnen 2200 Franken Startkapital. Sie brauchten das Geld, um einem Bauern aus der Region jene Äpfel abzukaufen, die nicht der Norm des Grosshandels entsprachen.
Weiter galt es, einen Webshop in Betrieb zu nehmen, eine geeignete Verpackung zu finden und die Produktvarianten Nature, Zimt und Ingwer auf verschiedenen Kanälen bekannt zu machen.
Im Oktober vergangenen Jahres, nur einen Monat nach Beginn des Projekts, waren die Schülerinnen mit ihren Produkten auf dem Markt. Die Nachfrage übertraf bald alle Erwartungen, auch weil in der Vorweihnachtszeit gleich mehrere Grossbestellungen von Unternehmen eingingen.
«Inzwischen sind wir ziemlich schnell im Apfelschneiden.»
Drei- bis viermal pro Woche legten die Mittelschülerinnen Spätschichten ein, um die Apfelchips in Handarbeit zu produzieren. «Inzwischen sind wir ziemlich schnell im Apfelschneiden», sagt Jil Belser und ergänzt, diese praktische Arbeit sei eine schöne Ergänzung zum kopflastigen Schulalltag gewesen.
Die Unternehmerinnen nutzten das Momentum, führten ein Abo-Modell ein und überbrückten das Januarloch mit der Lancierung einer Stofftasche mit Firmenlogo.
Die Firma zahlt bereits eine Dividende
Die Bilanz nach neun Monaten fällt positiv aus. Über 2000 Apfelchips-Packungen hat The Crunchy Company abgesetzt, unterm Strich blieben 4300 Franken Gewinn, der als Dividende an die Besitzer von Partizipationsscheinen weitergegeben werden soll.
Am letzten Mai-Samstag gab es zum Projektabschluss nochmals eine zusätzliche Motivationsspritze: Das Crunchy-Team wurde am Finale des Company-Programms von YES zum besten Miniunternehmen aller 178 teilnehmenden Teams erkoren. Belser und ihr Team hatten in den vier Kategorien Geschäftsbericht, Juryinterview, Videopräsentation und Onlineauftritt am besten abgeschlossen. So vertreten sie im Juli die Schweiz beim europäischen Finale des YES-Programms mit Teams aus vierzig Ländern.

Belser und ihre Freundinnen wissen noch nicht, ob sie das Projekt danach weiterziehen werden. «Wir wollen unbedingt, dass das Produkt weiterexistiert», sagt die 17-Jährige, «wir können aber nicht mehr alles selbst in Handarbeit herstellen – immerhin steht nächsten Sommer die Matura an.»
Sie hat die Teilnahme aber in keinem Moment bereut. «Vor einem Jahr war ich supernervös, wenn ich vor meinen 18 Klassenkameraden einen Vortrag halten musste – und von Wirtschaft hatte ich keinen Schimmer», erinnert sie sich. Nun habe sie gelernt, offen auf fremde Menschen zuzugehen, in Kurzpräsentationen zu überzeugen und einen Businessplan zu schreiben.
Dieses Gefühl, innert Kürze selbst etwas auf die Beine zu stellen und sich in einem Team gut zu organisieren, nehme sie so oder so mit ins Berufsleben.
Aus manchen Teilnehmern werden erfolgreiche Unternehmer
Noémie Duschletta, Geschäftsführerin von YES Switzerland, sagt, es sei seit der Einführung 1999 eines der wichtigsten Ziele des Programms, den Mittelschülern unternehmerisches Denken und Handeln mit auf den Weg zu geben. Es ermuntere sie dazu, praktisch risikolos Dinge auszuprobieren und vernetzt zu denken. Das helfe später bei jeder beruflichen Tätigkeit.
Auch wenn der Schritt in die Selbstständigkeit nicht das erklärte Ziel des Programms ist: Jedes Jahr gibt es eine Handvoll Miniunternehmen, die auch nach Programmabschluss weitermachen. Dieses Jahr sind dies zum Beispiel die Berner Online-Secondhand-Kleiderbörse Reglow, die Aargauer Seifenproduktion Lavour, die ohne Plastik und Verpackung auskommt, oder die Ostschweizer Studentenfutterproduzenten Frucht-X.
Und manche Programmteilnehmer aus früheren Jahren wurden später erfolgreiche Unternehmer: Reto Graf gewann den Schweizer Wettbewerb als Finanzchef eines Miniunternehmens, das kleine Taschen herstellt, in denen Wertsachen trocken aufbewahrt werden können. Später gründete er Eat.ch und die Notime AG. Auch Nicholas Hänny, Mitgründer der populären Kleidermarke Nikin, durchlief das YES-Programm und erlebte es als Initialzündung für seinen Weg ins Unternehmertum.
Die 25 Finalistenteams von diesem Jahr erzielten alles in allem einen Umsatz von 210’000 Franken. Was sie dabei gelernt und an Selbstvertrauen gewonnen haben, dürfte ein Mehrfaches wert sein.
* Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach und Referent tätig. Er ist Autor der Bestseller «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the Box» und Betreiber des Portals www.beruf-berufung.ch
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